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  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
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Ausstellungen

DIRTY TALKING — THÜRINGER VERFÜHRUNGEN

Ein thüringenweiter Ausstellungsreigen in fünf Einzelausstellungen und einer Sammelausstellung. Eine Produktion von ACC Galerie Weimar und Kunstfest Weimar 2022. Eine Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung.

Fr., 26.08.2022–So., 20.11.2022

Lesedauer etwa 15:20 Minuten

Ob es die Verführung durch Verschwörungstheorien oder politische Versprechen ist oder die typische «liaison dangereuse», ob es die klassische Verführung durch Drogen, den Geschwindigkeitsrausch oder das Glücksspiel ist: Verführungen bringen eine Person oder Menschengruppe dazu, etwas zu tun, dass sie eigentlich nicht vorhatte.
Wer verführt, nutzt Fantasie und Einbildung, um Gefühle zu erzeugen. Wer sich verführen lässt, genießt den Reiz und das Angezogen-Sein. Verführungen sind gewaltlose Manipulation, aus denen mehr werden kann. Sie setzen Energien und Verlangen frei, sie setzen unter Druck. Das Projekt nimmt an sieben thüringischen Orten in den Blick, wodurch
wir verführbar sind – politisch, persönlich, gesellschaftlich. Wie hat oder wurde jeder Einzelne schon verführt? Was hat das mit unserer Heimat Thüringen und dem Realitätsgehalt unserer Lebenswelt zu tun? Welche Verführungsgeschichten gibt es hierzulande? Worin sehen wir heute Verführungspotenzial und was sind für Thüringen nicht untypische Verführungen? Steckt in jeder Verführung nicht auch der Moment des Nachgebens, des ungewollten oder oft auch uneingestandenen Scheiterns? Und braucht eine Gesellschaft um des eigenen Fortbestehens Willen nicht auch beide Seiten der Verführung:
den Reiz des Verführtwerdens und des Sich-Verführenlassens?

GRUPPENAUSSTELLUNG ACC GALERIE WEIMAR
Do 25.8.22 | 16 UHR (Vernissage) | Ausstellungsdauer 26.8.—20.11.22

12 Einzelausstellungen thüringenweit vom 27.9.—11.9.22 sowie darüber hinaus

Kristin Wenzel | Tausend Melodien | Friedrichroda

Sa 27.8.22 | 10 Uhr Ausstellungseröffnung | Bob- und Rennschlittenbahn Friedrichroda, 27.8.—20.11.22

Tausend Melodien sollten erklingen, als am 5. Februar 1966 Radio DDR live aus Friedrichroda, der Stadt der X. Weltmeisterschaft im Rennschlittensport, berichtete. Das Publikum konnte sich unter einer Vielzahl von Musikbändern dessen Lieblingsmelodien wünschen, die dann in der Sendung Tausend Melodien suchen ihre Hörer gespielt wurde. Tausend Melodien ist auch der Titel der Arbeit von Kristin Wenzel, die sich mit der Rennschlittenweltmeisterschaft in Friedrichroda beschäftigt und von der Euphorie erzählt, die mit diesem Ereignis verbunden war. Tausend Melodien erklingen heute, fast 60 Jahre später, im Thüringer Wald am Roten Weg in Richtung Spießberghaus und erinnern an eine nie stattgefundene Weltmeisterschaft. Zugleich hinterfragt Kristin Wenzel mit ihrer neuen multimedialen Installation die Geschichtsrezeption politischer Systeme und deren Umgang mit Niederlagen und kollektiven Enttäuschungen. Damit stellt sie nicht nur das Scheitern in den Mittelpunkt, sondern plädiert auch für eine Lesart jenseits neoliberaler Denkmuster, in der Menschen lediglich über ihren Erfolg definiert werden.

Gökçen Dilek Acay | Davet — Invitation | Schmalkalden

Sa 27.8.22 | 14 Uhr Ausstellungseröffnung | Otto Müller Museum der Moderne, Schmalkalden, 28.8.—8.9.22

«Leben wie ein Baum, einzeln und frei, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.»
Nâzım Hikmet (Ran) (1902-1963). Gökçen Dilek Acay zeigt im Otto Müller Museum der Moderne in Schmalkalden ihre Videoarbeit Davet — Invitation. Deren Titel ist dem des Gedichts Einladung von Nâzım Hikmet entlehnt. Darin fordert der türkische Dichter, Dramatiker und Begründer der modernen türkischen Lyrik, dass alle Menschen freie, gleichberechtigte, niemandem unterworfene Individuen sein sollten. Seine Sehnsucht nach sozialer Gleichheit und einem brüderlichen Leben sind unverkennbar. Seine Beschreibung des Waldes kann als Einladung zu Freiheit, Gleichheit, brüderlichem Zusammenleben und gemeinschaftlichem Teilen eingelesen werden. Inspiriert von dieser Idee, interpretiert die Künstlerin den Wald: Menschen werden gezeigt, die in Schmalkalden leben und sich dem Wald aus verschiedenen Blickwinkeln nähern. Die Ausstellung zeigt ein breites Arbeitsspektrum der Künstlerin, das von Zeichnungen auf Knochen über handgewebte Haarskulpturen und handgefertigte Fahnenarbeiten bis hin zu Videofilmen reicht.

Dania González Sanabria & Frank Latorre | Die innere Landschaft | Friedrichsrode

Sa 27.8.22 | 18 Uhr Ausstellungseröffnung | Kunsthof Friedrichsrode | 28.8.—11.9.22
Im Kunsthof Friedrichsrode tauschen am 27. August die Menschen des Dorfs Geschichten von Objekten miteinander aus, in denen pflanzliches Leben erwacht sein wird. Eine wassergefüllte, herzähnliche Skulptur, mit Verästelungen, die symbolisch über persönliches, lokales und soziales Wachstum sprechen, hält sie «am Leben». Dania González Sanabria und Frank Latorre teilen ihre Geschichten mit Objekten, z.B. Trümmer von zerfallenen Gebäuden in Havanna oder schriftliche Zeugnisse ihrer Großeltern in Kuba. Auf diesen Objekten wachsen bereits Moose und Gras und laden Menschen ein, weitere Objekte mitzubringen, die eine Geschichte, Erinnerungen und Erfahrungen in sich tragen. Diese Geschichten sollen in der Natur, im Leben, in Frieden in etwas Anderes umgewandelt, beseelt werden. Mitgebracht werden können z.B. einfache Gegenstände wie ein Stein aus dem Garten, etwas, das schon lange zu Hause lagert, wie Kleidung oder andere Gebrauchsgegenstände, die nicht mehr verwendet werden, aber an bestimmte Zeiten erinnern, auch Fotos oder Dokumente, die die Künstler kopieren (wodurch die Originale gesichert sind).

VVV | Umkehrung des archäologischen Prozesses | Friedrichsrode

Sa 27.8.22 | 18 Uhr Ausstellungseröffnung | Kunsthof Friedrichsrode | 28.8.—11.9.22
Eine anlässlich der Eröffnung am 25. August im ACC zu sehende Gruppe von Objekten wandert anschließend von der Galerie zurück an ihren Herkunftsort im Dorf Friedrichsrode, wo sie am 27. August in einem ausgehobenen Grundstück vergraben wird. Das Künstlerkollektiv VVV (Víctor del Oral aus Mexiko-Stadt und Willie Gurner aus Boston, USA) hat bei seinen Besuchen in Friedrichsrode Objekte gesammelt, die die Dorfbewohner für die Zukunft aufbewahren möchten. Anstatt es dem Zufall zu überlassen, welchen Eindruck zukünftige Generationen von der Vergangenheit haben werden, nehmen die Künstler und die Dorfbewohner*innen die Produktion von Geschichte selbst in die Hand, indem sie Kopien dieser Objekte herstellen und vergraben, um sie in der Zukunft wiederentdeckbar zu machen. Es geht um den «Selbsterhalt» eines Dorfes und um die Fähigkeit von Objekten, zu verführen, zu suggerieren und Geschichten zu erzählen. Welche alternativen Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte könnten diese archäologischen «Köder» für Friedrichsrode eröffnen? Wie wird sich die Zukunft an ihre Vergangenheit erinnern?

Bahram Nematipour | Arbeiten, die ich nicht geschafft habe | Neustadt an der Orla

So 28.8.22 | 11 Uhr Ausstellungseröffnung | Lutherhaus Neustadt an der Orla | 29.8.—11.9.22
Bahram Nematipours Fixpunkt ist die Bewegung, sein Beitrag für Dirty Talking «aus dem Leben gegriffen»: Eine Kamera begleitet den getriebenen Konzeptartisten und figurativen, mit Deformationen arbeitenden Maler, bei Alltagsjobs zur Sicherung des Lebensunterhalts — er lehrt Zeichnen an der Bauhaus-Universität Weimar, gibt Grafikdesignkurse an der Weimarer Mal- und Zeichenschule und unterrichtet Kunst an der Parkschule Weimar. Um-die-Ecke-Denken und Zwischen-den-Zeilen-lesen, damit wurde der «hoffnungslose Hoffnungsvolle», «viel zu oft Verführte» in Teheran sozialisiert. Gespeist aus dem eigenen Erfahrungspool, verarbeitet er tiefe Emotionen um Verführung, Liebe, Hass und Eifersucht. Oder Kontraste und Konflikte zwischen dem, was Tradition, Religion, Politik und Regierung von den Leuten erwartet, und dem, was sich tatsächlich im Land abspielt. Als Wanderer zwischen den Welten ist er mit den Ursachen und Folgen von Flüchtlingsbewegungen und der Verantwortung des Westens demgegenüber vertraut. Für Neustadt an der Orla schweben ihm allerdings Arbeiten vor, «die ich nicht geschaffen habe».

Kurt Grünlich | Frankie goes to Burgk | Burgk

So 28.8.22 | 16 Uhr Ausstellungseröffnung | Museum Schloß Burgk | 29.8.—31.10.22Bereits in frühen Werkgruppen verhandelte Kurt Grünlich die mannigfachen Spielarten eigener Seduktionen, die ihm, damals Helfer der Volkspolizei, Nachtclubtänzer und Leichenwäscher, gerade in den abseitigen Falten seiner nächtlichen Tätigkeiten begegneten, ja belästigten. Mit dem Ziel, werdende Mütter und Väter zur Namensgebung eines in den letzten Jahrzehnten leider arg stiefmütterlich behandelten Vornamens zu verführen, lädt Kurt Grünlich nun Dutzende gestaltende Franks anlässlich des 1. Frank-Treffens der gerade in Gründung befindlichen Deutschen Frank-Gesellschaft zur Ausstellungsteilnahme nach Schloß Burgk ein. Info-Stände, Vorträge, Lesungen, Film, Theaterstück, Musik und ein Gottesdienst mit Orgelmusik von ausgewählten Namensträgern sind, neben der Präsentation von Malerei, Grafik, Objekten, Kompositionen und Fotografien — immer von und über Franks — geplant. Neben der zweitägigen Veranstaltung auf dem idyllischen Schloß Burgk bei Schleiz gibt es vom 26.8. bis zum 20.11.22 im zweiten Ausstellungsteil im ACC weitere Franksche Exponate zu sehen (Eröffnung 25.8.22, 16 Uhr).

Ausführlich: 

Gerade hat die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha die 56-seitige bibliophile Kostbarkeit Die Münze über einen spektakulären Fund im Parkteich des Englischen Gartens im Gothaer Schlosspark herausgegeben, der 2021 im Herzoglichen Museum Gotha zur Schau gestellt wurde und inzwischen zum festen Bestandteil der numismatischen Sammlung des Gothaer Münzkabinetts gehört, schon wird das nächste (Kunst)Stück Aufarbeitung von der thüringischen Künstlerin Kristin Wenzel auf den Weg ins kollektive Gedächtnis unseres Landes gebracht: Die zehnten Rennschlittenweltmeisterschaften vom 11. bis 13. Februar 1966 in Friedrichroda wären ein Prestigeprojekt der noch jungen DDR geworden, hätte nicht eine ungewöhnliche Warmwetterperiode alle Träume vom Weltsportereignis dahinschmelzen lassen. Von all dem, was seinerzeit nicht stattfand, zeugen deswegen im ACC eine 9x3m-Wandtapete der Natureisbahn mit Neonschriftzug Tausend Melodien (denn die sind das, was vom Wintersportevent übrig blieb: eine Wunschtitelsendung gleichen Namens auf Radio DDR), eine Soundcollage (in Zusammenarbeit der Künstlerin mit dem Musiker und Komponisten Benjamin Waschto alias FluxReflektor und der Schauspielerin Angelika Richter), die Originalschilder der WM-Teilnehmerstaaten (u.a. UdSSR, CSSR, SR Rumänien) vor 56 Jahren, Filmmaterial Wußten Sie schon? der DDR-TV-Nachrichtensendung Aktuelle Kamera über die WM-Vorbereitung, diverse Zeitungsartikel (Eine Stadt will mit ihren Gästen Schlitten fahren, 100.000 Bratwürste für die Zuschauer, Auch Frankreich dabei, Die Tragik der Spießbergbahn), Briefmarken, Ersttagsbriefe und Gedenkpostkarten („Befördert mit Schlittenpost“ – „Wegen Schneemangel mit Kutschenpost“) und Abzeichen … Vor Ort in Friedrichroda wiederum wandert man zehn Minuten die von Brombeersträuchern gesäumte Spießbergbahn (so der Name ebenjener schicksalsträchtigen Bob- und Rennschlittenbahn) vom „Herrenstart“ hinunter – und hört dabei schon von Weitem für einen Naturraum ungewöhnliche Stimmen und Töne – zu einer von Kristin Wenzel restaurierten Kampfrichter- und Sportreporterhütte, wiederum mit Klang- und Lichtinstallation (in Kooperation mit dem Elektrofachhandel Ullrich Schmidt Friedrichroda), um für weitere zehn Minuten (täglich zwischen 10 und 15 Uhr) waldwandelnd oder auf einer Waldbank ruhend die Stimmung von damals Revue passieren zu lassen. Wie lange die Installation im Wald auch übers Kunstfest Weimar 2022 hinaus erhalten bleiben wird, werden die das Projekt unterstützende Stadt Friedrichroda, der Bob- und Rodelclub 05 Friedrichroda e.V., die Revierförster und die Künstlerin noch aushandeln. Um weltweit Anerkennung zu gewinnen, investierte der DDR-Staat Enormes in die Förderung des Leistungssports. Der war andererseits für außergewöhnliche Talente oft (neben einer Karriere als Spitzenmusiker*in) die einzige Möglichkeit, in Länder außerhalb der sieben Bruderstaaten des Warschauer Pakts reisen zu dürfen: ein verführerischer, nie ideologiefreier Anreiz, den die SED-Regierung äußerst erfolgreich bei ihren vor allem jungen Bürger*innen zu wecken wusste.

Gökçen Dilek Acays und Sternbauers 22-Minuten-Film Davet – Invitation wird getragen von vier älteren, erzählenden Protagonist*innen aus Schmalkalden, die den Zweiten Weltkrieg, die DDR und den Ukrainekrieg miterlebt haben („Die Männer machen die Kriege, aber wie sollen wir diesen Augiasstall ausmisten?“). Die historische Fachwerkstadt ist ein vom (Thüringer) Wald umgebener Ort – die Geschichten der fünf handeln im Wald, offenbar nicht unbeeinflusst von einer beschwörend übers Land streifenden, singenden, tänzelnden, ebenso Geschichten erzählenden, schwarzbekleideten, den Wald selbst repräsentierenden Schamanin. Deren Alter Ego wiederum ist ein computeranimierter Hirsch, der immer wieder durchs Bild läuft, um die Grenzen zwischen Natur und menschgeschaffener (Kultur)Geschichte aufzuweiten und an den Kreislauf von Geburt, Leben, Sterben und Tod zu erinnern. Während man ihre Stimmen hört, nehmen die fünf Erzähler*innen teils absurde, feng-shui-ähnliche Körperhaltungen ein, in denen sie verharren, wodurch die dokumentarische Erzählform gebrochen bzw. durch diese Wahrnehmungsverschiebung von der Realität losgelöst wird – Körper und Geschichte treffen sich an einem anderen Ort. Im Aufspüren nach Verbindungen zwischen Wald, Mensch und Vergangenheit suchten Gökçen Dilek Acay und Sternbauer verschiedene Orte Schmalkaldens auf, u.a. die alte Jüdische Schule. Beider Suche nach alternativen, freien Erzählweisen und Realitätsverschiebungen endet werktechnisch jedoch nicht im Zweikanal-Bewegtbild, sondern in einer 3x4m-Wandtapete, die die Geschichte per „Künstlicher Intelligenz“ nach Eingabe von projektspezifischen Schlüsselworten (Krieg, Atombombe, Waldbrennen, McDonalds, Schweine, Hundekampf, Paradies, Magenta) in den Computer forterzählt und binnen sieben Stunden ein komplexes, collageartiges Bild erschuf. Im Schmalkaldener Stadtarchiv fanden Gökçen Dilek Acay und Sternbauer die Noten des Liedes für Männerchor O Heimat mein, wie bist du schön, komponiert und getextet Ende des 19. Jahrhunderts vom örtlichen Augenoptiker und Mechaniker Friedrich Dellith: In Thüringen, umschlossen rings vom Walde, geschützt von Bergen liegt mein Heimattal, dort an den klaren Fluten der Schmalkalde, schaut ich die schöne Welt zum ersten Mal. Alle Bemühungen, einen Schmalkaldener Chor für Davet – Invitation zum Singen dieses Heimatlieds zu bewegen, scheiterten zumindest bislang ebenso wie der Versuch, ein Gruppe Schmalkaldener Förster und Jäger in einem der umliegenden Waldreviere mit 300 Schuss Munition das Wort Heimatliebe in eine riesige Holzplatte schießen zu lassen (angeblich wurde die nötige Munition auf Anordnung in die Ukraine geliefert). Verführerisch wirkten auf die Künstler offenbar auch Nougat, Marzipan und Pralinen des Traditionssüßwarenherstellers Viba, der seit 2000 den Guinness-Rekord der weltgrößten Nougatstange (750 kg, 3m lang, Durchmesser 50 cm) hält. In der Schauproduktion der Viba-Nougat-Welt entstand ein kurzer Film, der zeigt, mit welch raffinierter Technik die Schmalkaldener Sweets produziert werden – eine weitere Heimatgeschichte. Das Künstlerduo bleibt an Schmalkalden dran.

Für die weimarspezifische Rauminstallation Ánima (Die innere Landschaft), ein Bewässerungssystem, das Wasser auf gesammelte Erinnerungsgegenstände tropft und so Mikrolandschaften mit Moosen und Pflanzen entstehen lässt, sammeln Dania González Sanabria und Frank Latorre Objekte und Materialien von Menschen, um auf natürliche, sensible und spirituelle Weise eine Atmosphäre des Dialogs zu persönlichen und kollektiven Erinnerungen zu schaffen. Objekte und Erinnerungen sollen buchstäblich und symbolisch zum Leben erweckt werden.

Wir versuchten dabei auch, Ballast aus unserem eigenen zusammengebrochenen kubanischen Kontext und unserer Heimat, die für uns nicht mehr existiert, loszuwerden und teilen unsere persönlichen Objekte und Erinnerungen: Trümmer von Wohngebäuden, die in Havanna häufig einstürzen, ein Bild des sozialen und politischen Verfalls, der sich leider auch auf das Persönliche ausdehnt, und eines Projekts, das zusammenbricht, ohne jemals gebaut worden zu sein, sowie Zeugnisse unserer Großeltern, deren Leben und Tod symbolisch für das steht, was mit unserem Land geschehen ist, darunter das letzte, was der Großvater geschrieben hat – seine Autobiografie, in der er über seinen lebenslangen Beitrag zum kubanischen Revolutionsprozess und zum Modell einer „Traumgesellschaft“ berichtet, kurz bevor er in ebendieser Gesellschaft an den Folgen einer ärztlichen Fehlbehandlung starb. In Weimar selbst haben wir bisher 23 Objekte und daran geknüpfte Erinnerungen erhalten, darunter „Amulette“ von Migrant*innen mit Verweisen auf ihre Heimat oder der erste Ziegelstein, mit dem das Fenster eines bereits mehrfach von Neonazis angegriffenen Weimarer Cafés eingeschlagen worden war.
Oder ein gerahmtes Schwarzweißfoto von 1955: Es zeigt die Sosa- „Talsperre des Friedens“, ein Jugendobjekt der frühen DDR, Gegenstand der DDR-Propaganda, (z.B. im Lied der Jugendbrigaden: „Wir sorgten für Wasser in Sosa...“) und Motiv einer DDR-Briefmarke. Ein überlebender Soldat und Kriegsgefangener des Zweiten Weltkriegs hat es aufgenommen, der nach all seinen Erlebnissen Zuflucht und Frieden im Fotografieren von Landschaften und Pflanzen fand, um seine Erinnerungen zu „heilen“. Dieses Foto wiederum inspirierte dessen Sohn, sich die Leidenschaft seines Vaters zu eigen, ja sogar zu seinem Beruf zu machen.
Das 624-Seiten-Kompendium Weimaraner Ways zur Geschichte des Weimaranerhundes, seiner Gesundheit und Zucht, Genetik und seinen Mutationen, ist der ultimative Leitfaden für diese schöne und intelligente Hunderasse. Mit Fotografien von William Wegman (*1943) ist die von einem Weimarer Weimaranerfan zur Verfügung gestellte „Weimaranerbibel“ eine Erinnerung an die Kunstausstellung Weimar den Weimaranern mit großformatigen Polaroids des US-Künstlers.
Ein Weimarer Künstler fand in seinem Herkunftsland Frankreich ein religiöses Bild Innocence, eine handkolorierte, die Unschuld darstellende Lithografie von einem Mädchen mit Schäflein, und schuf daraus ein Objekt für eine Kitsch-Ausstellung, an die er sich gern erinnert. Ihm gefällt, dass sein Werk nun innerhalb eines anderen Werks zu neuem Leben kommt, wie vor zwanzig Jahren.

VVV ist ein Künstlerkollektiv mit Willie Gurner (Weimar; USA) und Víctor del Oral (Weimar, Mexiko), das in Performances, Skulpturen, Workshops und Texten Kommunikation und deren Fehlen, Missverständnisse, Übersetzungsfehler und die Fehlbarkeit von Erinnerung erforscht. Beider Museum für Umgekehrte Archäologie wird in zwei Sälen des ACC vorgestellt: Saal 1 beherbergte die Sammlung Engelswiese, Saal 2 beherbergt den Erdraum. Das Museum für Umgekehrte Archäologie ist ein wissenschaftlich-fiktives, ephemeres und wanderndes Museum, das versucht, lineare Vorstellungen von Zeit und Geschichte zu dekonfigurieren und den Aspekt der Fiktion zu betonen, der der narrativen Geschichte innewohnt. Die Objekte, die einst im Museumssaal 1 Sammlung Engelswiese des ACC ausgestellt waren, stammen aus dem Dorf Friedrichsrode im Nordwesten Thüringens. Die Sammlung bestand aus keramischen Repliken von Objekten, die im frühen 21. Jahrhundert von den Bewohner*innen des Dorfes besessen und wertgeschätzt wurden. Diese Keramiken wurden jedoch seitdem der invers-archäologischen Operation des Entfernens und Bestattens unterzogen und am 27. August 2022 auf der Engelswiese in der Erde vergraben (Kommunikation und Übersetzung: Federica Rampf). Das Walddorf Friedrichsrode aus dem 18. Jahrhundert wurde 1706 im Auftrag von König Friedrich I. auf einem unbewohnten Ort gegründet, da die dortige Vorgängersiedlung im Zuge des Deutschen Bauernkrieges im frühen 16. Jahrhundert zerstört und entvölkert worden war. Die Dorfkirche ist das einzige Gebäude, dessen Fundamente aus der früheren Besiedlung stammen. 1706 ließen sich 17 Gründerfamilien in Friedrichsrode nieder. Der Haupterwerbszweig des Dorfes war – auch bis zu DDR-Zeiten – die Forstwirtschaft. Heute beherbergt das malerische Dorf 68 Vollzeitbewohner*innen, weniger als jemals zuvor in seiner Geschichte. An der Kreuzung zweier Straßen zwischen dem sogenannten „Oberdorf“ und dem „Mitteldorf“ gelegen, ist die Engelswiese ein grasbewachsenes Grundstück, auf dem bis 1989 ein Wohnhaus stand. Vor der Gründung Friedrichsrodes soll hier auch ein Kloster gestanden haben. Die Reste dieser beiden Bauwerke aus unterschiedlichen Epochen befinden sich bis heute unter der Erde der Engelswiese. Sie wurde von inversen Archäologen und Dorfbewohner*innen als Ort für die Beerdigung oder Eingrabung der Objekte dieser Sammlung vereinbart. Die 18 Objekte werden dort auf unbestimmte Zeit vergraben bleiben, es sei denn, zukünftige Generationen graben sie eines Tages aus. Umgekehrte Archäologie ist eine Methodologie für zukünftige Vergangenheiten.

Ihre experimentelle Praxis zielt frei nach dem Motto Alles was fest ist, schmilzt in der Erde darauf ab, die Konstruktion der zeitlichen Kategorien „Zukunft“ und „Vergangenheit“ umzukehren und zu hinterfragen und die der archäologischen Praxis inhärenten Teleologien aufzudecken. Beim Erdquader im ACC-Museumssaal 2 Erdraum handelt es sich um 600kg originale Friedrichsroder Erde, eine Probeentnahme mit den Abdrücken der vergrabenen Gegenstände.

Nicht weniger als vierzig Gemälde hat Bahram Nematipour, der sich am ehesten als Zeichner versteht, nach nächtelangen Denksessions in einem Dreißigquadratmeterraum zusammengepfercht: gefaltet, gestaucht, gebrochen, geknickt, mal überschattet, mal lichtumwoben – eine an Unbedachtheit, fahrlässigen Umgang und Zerstörungswut erinnernde Kunsthöhle, die erstaunlicherweise nicht zwingend Unwohlsein hervorruft – im Gegenteil: viele ACC-Galeriebesucher*innen fragen gezielt nach diesem Kunstdschungel … und das nicht nur, weil sie selbst sich auf einem der Ölbildnisse wähnen.

Nach einiger Betrachtung merkt man: Die meisten Leinwände sind unvollendet, sind Arbeiten, die ich nicht geschafft habe.
Ist das alles nur eine Inventur jener Werke, die auf Vollendung warten? Oder eine kritische Selbstbefragung: Soweit bin ich gekommen, doch wem nützt‘s? Oder mehr noch eine Zäsur als künstlerisch motivierter Einschnitt im malerischen Werk, eine Unterbrechung des kreativen Flows: Bis hierhin und nicht weiter? Dass es bei dieser Rauminstallation auf eine Bewertung hinauslaufen könnte, darauf deutet der Nachsatz im Werktitel: Wieviel kosten die? Was also ist Kunst wert? Noch dazu, wenn der Schaffensprozess unterbrochen, sie zur Seite gelegt, nicht zu Ende gebracht, vielleicht gar verworfen ward?
Eine 1x4-Meter-Kohlezeichnung auf Papier entstand auf dem Marktplatz von Neustadt an der Orla und wurde dort, tagelang an einer Mauerwand befestigt, der Witterung preisgegeben, nicht ohne – und das war die Absicht – Kontakt zur Bevölkerung („Was machst Du denn hier? Bist Du freiwillig hier oder gehörst Du zur Stadt?“) … und zu den Autoritäten („Haben Sie für Ihre Malerei eine Genehmigung?“). Auf dem Fries tauchen ajatollahartige und noch düsterere diktatorische Gestalten auf, über denen das Statement „Deine Geschichte ist meine“ den blaugrauen Himmel bedeckt. Aus dem fallen Mischwesen aus Friedensvogel und Mensch geradezu auf eine Horde beschlipster Uniformierter (Neonazis?) – über ihnen ein Banner mit der Aufschrift „Warum habe ich das getan?“ und in Farsi: „Störe ich dich?“, während im Vordergrund auf einem Steinfeld vermeintlich Tote liegen und am linken Bildrand neben Schaulustigen in Gewändern aus einer anderen Zeit ein Boot anlegt.

Ein vorwiegend in Erfurt entstandener Dreizehnminutenfilm zeigt Sequenzen aus des Künstlers Arbeitsleben. Er kommt angeradelt, erzählt über seine Ziele, dass er gern in Gesellschaft und mit Menschen zusammen ist, sie (z.B. in Weimars Cafe Fama) zeichnet, weil er sie mag. Straßenbegegnungen. Eine Ateliersequenz. Ringsherum Chaos, aber hier herrscht Ordnung. Zwischendurch tönt er: „Hey, ich habe was verkauft!“ Seinen Schüler*innen in der Weimarer Mal- und Zeichenschule erzählt er viel aus eigener Erfahrung. Er jobbt in der Kletterhalle Erfurt, war in der Nationalmannschaft Irans. Seine vier Jobs erfordern ein strenges Tagesregime, dabei schafft er es oft nicht, Kunst zu machen. Er singt ein linkes freiheitliches iranisches Protestlied, später eines des persischen Sängers Mohammad Reza Schadscharian (das iranische Regime verbot ihm nach 2009 jegliche Auftritte und Tonaufnahmen).

Kurt Grünlich ist in Thüringen kein Unbekannter, wenngleich seine Projekte nicht selten aus gepflegter Zurückhaltung, der Hüfte geschossen oder dem Hinterhalt auf Publikum treffen, wie 2021 seine Aktion Gera – Vegan City. Die Feststellung, dass er „ausnahmslos angenehme Franks“ in seiner Bekanntschaft hätte, obwohl „dieser Name in den letzten Jahrzehnten von den werdenden Müttern leider arg stiefmütterlich behandelt wurde und wird“, ließ ihn, quasi die Gründung der „Deutschen Frank-Gesellschaft“ flankierend, am 27. und 28. August 2022 auf Schloß Burgk das „1. Frank-Treffen“ mit der Ausstellung Frankie goes to Burgk (mit Frank Frotzscher, Frank Gärtner, Frank Henkel, Frank Herrmann, Frank Latorre, Frank Lohse, Frank Möbus, Frank Motz, Frank Naumann, Frank Reimann, Frank Rüdiger, Frank Schenke und Frank Schreier) organisieren. Die DFG hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Namen selbst und die Personen hinter dem Namen FRANK künftig noch stärker im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Dafür wurde geklotzt, nicht gekleckert. Puppenspieler Frank Karbstein (Gera) lud zum Märchen von „Frank - dem Fischer und seiner Frau“ ein, Autor Frank Willmann (Berlin) las einen Text über einen Frank auf Schloß Burgk, es ertönte Livemusik von Frank York und der irische Film „Frank“ wurde aufgeführt. Im Merchandisingbereich waren Fünfsterne-Frank-T-Shirts, Frank-Luftballons und Postkarten berühmter Franks (Kafka, Liszt, Kaiser Frank Joseph) ebenso zu haben wie im Versorgungsbereich vom Frank gebratene Rostbratwürste, Softeis gereicht von Dorothea Franke und Franken-Bräu. An einem Info-Stand der DFG konnten sich werdende Mütter von kompetenten Mitarbeitern über die Vorteile einer Frank-freundlichen Namenswahl beraten lassen („… der Name Frank ist der erste Baustein, nein: das Fundament eines erfüllten, reichen und gedeihlichen Daseins“) und eine Erklärung mit folgendem Wortlaut unterzeichnen „JA! Ich erkläre verbindlich, dass ich meinen Sohn/meine Tochter mit Rufnamen Frank nennen werde!" Per Umfragebogen („6. Ich werde oft gehänselt (…) 12. Ich unterstütze die Forderung: Franks sollten mehr verdienen als Dirks! (…) 16. Wäre ich kein Frank, dann wäre ich gern ein(e) …) konnte man helfen, seinen Bedürfnissen als Frank im Sinne der Gemeinschaft noch besser Rechnung zu tragen. Beendet wurde das Frank-Treffen mit einem Abschluss-Gottesdienst von Pfarrer Frank Hiddemann (Gera) in der Schlosskapelle, der von Frank Lehmann aus Markranstädt auf der Silbermann-Orgel mit Werken von Frank Buxtehude und Frank Sebastian Bach musikalisch begleitet wurde. Am 22.10. um 16 Uhr liest Frank Motz auf Schloß Burgk – begleitet von Improvisationsintermezzi des Modern-Jazz-Gitarristen Frank Möbus Keine Fliegen auf Frank – Gedichte von John Lennon.

Die Ausstellung wird noch bis tief in den November zu sehen sein und sich gelegentlich um weitere Frank-Kunst erweitern. Im ACC stellt Grünlich 16 Objekte aus, u.a. Eierschaukel, Pantoffelheldin, Speckgürtel, Damoklesstift, das Egozentrische Weltbild und Die Wanne meiner Ex.

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