Vier Fäuste und kein Halleluja – Mephisto Revisited
Internationale Gruppenausstellung mit Piotr Szyhalski (PL/US), Thomas Hammelmann (DE), Edith Kollath (DE), Mischa Kuball (DE) Konzept von Bernd Kauffmann
Mi., 30.04.2025–So., 14.09.2025 in 5 Tagen
Lesedauer etwa 2:41 Minuten
Für die ACC Galerie Weimar gestalten vier Künstler*innen in je zwei bis drei Räumen bzw. auf 50 bis 80qm, inspiriert von kurzen ausgewählten Textpassagen aus Goethes Faust die Ausstellung Vier Fäuste und kein Halleluja – Mephisto Revisited. Wichtigster Protagonist, Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung ist dabei neben Faust dessen Widerpart Mephisto, der einer Neubetrachtung aus gegenwärtiger bildkünstlerischer Perspektive unterzogen wird. Welche Gültigkeit hat diese Gestalt heute, mit Blick auf Gewalt, Macht- und Dominanzverhältnisse, auf Geschichtskonstruktion und Kollektivvergessen, auf Ausgrenzungserfahrung und Selbstbestimmung? Bernd Kauffmann, ehemaliger Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, früherer Intendant des Kunstfestes Weimar und Generalbeauftragter der Weimar 1999 — Kulturstadt Europas GmbH, liefert dabei einen wesentlichen Anteil des geistig-konzeptionellen Inputs zur Ausstellung.
Raum und Zeit verbinden sich in Thomas Hammelmanns Installation Isles of Remnants and Darkness zu Inseln aus Zerbrochenem, Objekten und Fotografien, die aus der Dunkelheit hervortreten, indem sie mit fragmentierten Bild- und Videoerscheinungen geflutet werden. Mephistos Antrieb und Ziel, die „Finsternis, die sich das Licht gebar“ wiederherzustellen, wird dabei zum thematischen Kern: Die Zerstörung aller Körper und Lebewesen, die ohne das Licht nicht existieren können. Wir Menschen sind auf dem besten Weg zur Vernichtung von allem, was ist und werden zu Erfüllungsgehilfen der Dunkelheit. Was bleibt, sind Impressionen fragmentierten (Video-)Lichts, das aufblitzend und verlöschend als ‚Lichtmüll‘ an den Körpern ‚klebt’. Nichts als Teile, die von bereits unverständlichen Bildern beschienen werden. Ein Verstehen von Welt — gar in Goetheschem Sinne — nähert sich fast der Unmöglichkeit. Wie sagt Mephisto: „Und auf Vernichtung läuft’s hinaus.“
Edith Kollaths ... and not quite still fokussiert auf die ambivalente Figur der Sorge. In Faust II erscheint sie nicht als laute Widersacherin, sondern als feinstoffliche, beinahe unsichtbare Macht – leise, aber durchdringend. Anders als Mephisto agiert die Sorge aus dem Verborgenen: Sie schleicht, untergräbt, lähmt, blendet – und entfaltet eine enorme Wirkmacht. Durch stetes Zögern und Zaudern entzieht sie Kontrolle, bringt Gleichgewichte ins Wanken. In Kollaboration mit Jens Weber (Weimar) entstand so ein schwankender Raum, der das nagende Gefühl existenzieller Unruhe körperlich spürbar macht.
Eine antiquarische Faust-Ausgabe mit sich bewegendem Einband und auffächernden Seiten hegt den Wunsch nach ewigem Leben (Thinking I’d last forever) — ein Buch, das zu atmen scheint.
Kraftvoll die Raumgrenzen erkundend, entfaltet sich die begehbare Skulptur Retracted Spirit zu einem Gleichnis für Fausts Expansionsdrang und Besitzgier.
In Metaphases, einer 1-Kanal-Videoprojektion von 2004, projizierte, verzerrte und dekonstruierte Mischa Kuball 81 Porträts aus einem 1965 erschienenen Bildband Porträts aus dem geistigen Deutschlan des Fotografen Paul Swiridoff in Form komplexer Lichtprojektionen. Diese intellektuelle Ahnengalerie des Nachkriegsdeutschlands durchläuft in einem ewigen Aufscheinen und Verschwinden den Raum und gleichsam den Zyklus des Lebens. Kuball nimmt dies in Weimar zum Ausgangspunkt für die bi_näre Frage nach unserer Idee von Mephisto und Faust — deshalb wurden die bestehenden Porträts um darstellende ‚Avatare‘ einer Figur von Mephisto ergänzt. In Tood-Taboo-Trance projiziert Kuball diese drei Worte auf Spiegelbälle, zusammen mit rotem, grünem und blauem Licht. Die Installation mit der sich ändernden Aura von Farben und Buchstaben im Raum thematisiert Gegensätze wie Leben/Tod, Kontrolle/Kontrollverlust, inspiriert von Jacques Lacans Theorien zu Linie und Licht.
Das aus 104.657 Strichen bestehende panoramische, brandaktuelle Weltepos-Wimmelbild Model Collapse (2024) von Piotr Szyhalski (*1967, im polnischen Kalisz) erfasst, anders als seine Reports, die auf spezifische Ereignisse oder Ideen reagierten, eine breitere ‚Landschaft‘ und kann als emotionaler, intellektueller und viszeraler Sturm verstanden werden, der uns verschlingt oder sich still in uns zusammenbraut. Der Tod in Kampfuniform mit Sense und Sturmgewehr beobachtet eine Explosion. Eine Frau liest Kindern vor. Ein Mann sitzt auf sein Handy starrend auf einer nicht detonierten Bombe. Bücherhaufen gehen in Flammen auf. Vögel, grasende Büffel, aus Knochen wachsende Blumen, Eingeweide und Trümmer, in denen ein Künstler, angesichts all dessen, versinkt. Neben Verlustgefühl ist da auch Hoffnung — wie bei Faust, der erst auf dem Schlachtfeld zur Besinnung kommt.
Flankiert wird die Monumentalzeichnung von den grafisch-sarkastischen Adressierungen politischer Realitäten in Empire und The Lawmakers (beide 2024).
Mi 30.4.2025 | 20:30 Uhr Eröffnung
Gefördert durch: Thüringer Staatskanzlei — Abteilung Kultur und Kunst, Stadt Weimar, Förderkreis der ACC Galerie Weimar