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Veranstaltungen

FRAGEN | Bettina Munk (DE)

Mi., 11.11.2020

Lesedauer etwa 2:09 Minuten

«In Erwartung der Beantwortung des Unsichtbaren wird die Wahrheit nicht zu Tage befördert. Durch die Befragung des Unsichtbaren kann die Wirklichkeit aufgespürt werden. Ein gleißend heller Raum, in dem drastischfarbige, hölzerne Rechtecke, die an Hinweisschilder erinnerten, von der Decke herabhingen, konnte vordergründig als praktisches Demonstrationsmodell für ein neues Ordnungssystem deklariert werden. Ein stockfinsterer Raum, in dem grell leuchtende Farbfelder mit doppeldeutigen Wörtern zu schweben schienen, konnte hintergründig als Versuchsmodell eines neuen Orientierungssystems gelten. Ein Raum, in dem beide Inszenierungen neben- und miteinander stattfanden, schien nicht denkbar zu sein. Dennoch war es möglich, Licht und Schatten, Tag und Nacht, monochrome Farbfelder und schwebende Worte, Virtualität und Wirklichkeit in ein und demselben Raum (fast) gleichzeitig zu erleben: Wechselseitige Lichtverhältnisse, möglich durch eine Intervallschaltung, wodurch der Raum in Hell- und Dunkelzustände versetzt wurde, sorgten dafür, dass beide inszenierte ‹Systemmodelle› zeitversetzt und in wenigen Minuten an Ort und Stelle seh- und erlebbar waren. Während des hellen Zustandes, der wesentlich länger dauerte als der dunkle, waren lediglich die real vorhandenen, monochromen Flächen zu sehen, die den Raum ästhetisch definierten und ihn in seiner gesamten Dimension zeigten. In den sehr viel kürzeren, dunklen Phasen, die wie Unterbrechungen eines ‹Normalzustandes› wirkten, waren dann leuchtende Worte, die im Raum zu schweben schienen und keine bestimmte Richtung angaben, sichtbar. Der Ort der Handlung zerfiel in isolierte Zeichen: Der real vorhandene Raum, die eindeutige Situation zog sich – dem Verschwinden gleich – zurück und hinterließ den Schatten eines physisch wahrnehmbaren Erlebnisses. Das, was im Dunklen übrig und lesbar blieb, waren die im Raum schwebenden Wörter, die – mehrdeutig interpretierbar, indem ihnen Fragezeichen angehängt wurden – zu FRAGEN (1994 – 95) mutierten. Es waren FRAGEN, die auf Handlung drängten. Doch die Handlung entfiel, denn die fragenden Wörter ließen sich in keinen kontextuellen Zusammenhang bringen. Es entstand eine verwirrende, nicht deutbare Situation, die sich, sobald der Raum wieder in die helle Phase eintauchte, ins Absurde steigerte: Information und Wahrnehmung, Virtualität und Wirklichkeit standen nebeneinander und konnten, obwohl das Abwesende gleichzeitig anwesend war, nur in dem jeweiligen (Raum-)Zustand empfunden und verarbeitet werden. Die Anwesenheit des Abwesenden – die Doppeldeutigkeit der zuvor gelesenen fragenden Worte – erzeugte FRAGEN, die artikuliert werden sollten. Denn heute, im Zeitalter der Telesimultanität, die Zeit und Raum elektronisch definiert, ist es wichtiger denn je, Dinge und Begriffe analytisch zu befragen, bevor sie als gegeben hingenommen werden.» (Klara Wallner)

Als der damalige Besitzer eines im Original erhaltenen, leer stehenden Kornspeichers in Weimars Karlstraße doch nicht mit seinen für 1995 geplanten Umbaumaßnahmen begann, bot sich die Alternative einer künstlerischen Zwischennutzung mit Bettina Munks Rauminstallation. Um das Nachleuchten der im Hellzustand unsichtbaren Schriftzüge auf einigen der 32 gleichformatigen wie minimalistische Objekte von der Decke hängenden Tafeln in der Phase der Dunkelheit zu gewährleisten, war die helle Phase (in der sich die Leuchtkraft der Schrift «auflud») mit einer Minute viel länger als die sieben Sekunden währende dunkle Phase, in der alle Umrisse verloren gingen, die Orientierung sich völlig veränderte und die monochrom gelblichen Schilder zu schwebenden, direkt an die Besucher gestellten Fragen (VERBRINGEN? AUFHEBEN? BETREIBEN? MISSBRAUCHEN? ABSPRECHEN? BEFASSEN?) wurden. Vom 16. September bis 16. Oktober 1994 ließen sie sie in den Kunst-Werken Berlinunbeantwortet über ihren Köpfen schweben. Darauf folgte das erste Gastspiel des ACC im Kornspeicher Weimar.

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