zum Inhalt
  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
  • So–Do 12–18, Fr–Sa 12–20
  • +49 3643 851261

Veranstaltungen

HERKUNFT NIEMANDSLAND

9. EUROPÄISCHES ATELIERPROGRAMM 2003 | ACC GALERIE UND STADT WEIMAR 27. März bis 02. Mai 2004

Sa., 27.03.2004–So., 02.05.2004

Lesedauer etwa 2:02 Minuten

Ausgehend von Johann Gottfried Herders Begriffen der «Volkskultur» und «Kulturnation» stellte das Programm Fragen nach dem Bewusstsein kultureller Identität, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl, aber auch das «Völkische», gar «Nationalistische» erzeugen kann. In welchem Verhältnis stehen angeborene unverwechselbare und womöglich unabänderliche Identitätsmerkmale von Menschen und Gesellschaften zu dem, was jeder sich aneignen kann? Angeregt durch Herders Stimmen der Völker in Liedern dokumentierte Yvonne Buchheim in der Videoinstallation Die singende Stadt (2003) das «Liedgut» von 161 Weimarern (Lieder und Liedfetzen jeglicher Stilrichtungen und Sprachen) als neues Gesangsarchiv. Stimmen waren nicht sofort Personen zuzuordnen. Zur Performance Vom Himmel hoch regnete es am 17. Mai 2003 zum Singen animierende Papierförmchen mit Hunderten Liedanfängen von der Jakobskirche Weimar herunter, die später im Café Resi und in der Installation Es liegt mir auf der Zunge (2004) mit Gebäck auftauchten. Zum Kneipengesangsevent Ein musikalischer Überraschungsabend am 27. Juni 2003 im Weimarer «Schmalen Handtuch» erreichte das Singfieber die Rotbäckigkeit irischer Pubs. Mein Lied (2003) bzw. seines konnte der Gast im (Galerie-)Tonstudio aufnehmen. Im Vorraum Hören Sie noch oder singen Sie schon? (2003) verbreitete sich Sangeslust, verursacht u. a. durch Interviews über die Singgewohnheiten der Weimarer. Vier gälische Gesänge (16. Jh.), bis heute in Irland lebendig weiter entwickelt, setzte Buchheims Videoprojektion Roots (2003) in Relation zu deren in den 1920ern übers Englische ins Deutsche übertragene, zeitlich «eingefrorene» Fassungen. Dem narrativen Sog von Gabriel Machemers Radiofeature-Fantasie Hamann, Herder und die Himmelsleiter (2004, auch als mechanische Schattenprojektion) in der Erzählstruktur eines Road Movies zwischen Königsberg, Minsk und dem Hause Gottes oder auch zwischen Herders Abhandlung über die Entstehung des Menschengeschlechts als historischem Diskurs (in einem fi ktiven Brief an die Hexe zu Kadmanbor) und Hamanns Kritik der Aufklärung konnte man sich, sechs Röhrenradios in einem 20 Meter langen holzfurniertapezierten Gang lauschend, schwerlich entziehen. Weitere Audiogeschichten wie Die Stadt der Hypochonder und Die Heimkehr der Hütchenspieler waren zu hören, die Gemälde Hafen, Himmelsstürmer und Haltestelle (alle 2003) sowie Zeichnungen März 2004, entstanden mit Down-Syndrom-Geschädigten, waren zu sehen. Stephan Weitzels Doppelvideoinstallation Dein Reich komme, Dein Wille geschehe (2004) zeigte eine Vater- und eine Mutter figur (die geschiedenen Eltern des Künstlers) in ihrem jeweiligen Zuhause. Dafür verwandte Monitore in Holzbehausungen, ein Wandteller «Einigkeit ein festes Band hält zusammen Leut und Land», zwei Kerzen und eine Deutschlandfahne als Gebetsteppich über einem Altartreppchen deuteten auf die Verquickung von familiärer Identität, Intimität und Mythologie mit Nationalwerten und sprachlich-kultureller Verwurzelung. Im voliere-artigen Environment In dichter Nähe, so fern (Hommage an Louis Saguer) (2004) wurden 20 Vogelhäuschen auf den zweiten Blick zu Modellen menschlicher Behausungen. Neben einer stündlich zwitschernden Vogeluhr (Bird Clock) im Käfi g formten 42 Vogelfutterbälle mit Umrissen europäischer Nationen eine (Erd-)Kugel. Rote Gummizüge vermittelten die Migrationsbewegungen des «europäischen» Weißstorches, eine Zeichnung das Chaos um Menschliche Massenmigrationen: Vermutete Bewegungsläufe seit Christoph Kolumbus. Die Zeichnung Weimar?! Niemandsland (2004) mit Weimarer Architekturfassaden des 20. Jahrhunderts aus Bauhaus-, Nazi- und DDR-Ära erzählte vom Niemandsland Weimar und seinem Mythos. Jörg Restorff (Schwerin), Renée Ridgeway (Amsterdam), Ulla Seeger, Julia Draganovic und Andrea Dietrich (alle Weimar) hatten als Juroren die Stipendiaten des Programms ausgewählt.

Diese Seite teilen