Die Kultur der Angst
11. Internationales Atelierprogramm der ACC Galerie und der Stadt Weimar (seit 1994)
Welche Denk- und Handlungsalternativen halten Künstler bereit, um gegenüber der Erzeugung von Angst wachsam zu bleiben? 92 Fotografien (teils begleitet von realen wie auch fiktionalen Hör-Erzählungen) versammelte Kyoko Ebata zum audiovisuellen Langzeitprojekt Childhood Story(seit 2003). Als reisende Geschichtensammlerin befragte sie viele Menschen nach angstumwobenen Schauplätzen ihrer Kindheit und nach realen Orten, die die Befragten einst mit der visuellen und imaginierten Aufarbeitung von Märchen in Verbindung brachten. Sie dokumentierte jene Orte selbst oder ließ sich Bilder schicken, spürte so nicht nur idealisierte und intuitive Vorstellungswelten auf, sondern fragte auch nach Auslösern und Arten der damit verbundenen Emotionen. Als Antwort auf sich häufende, üblicherweise stark reglementierende und von Besitzansprüchen hergeleitete Arrangements zur Eindämmung unüblicher, unkontrollierter Nutzungsvorstellungen von Räumen zugunsten «öffentlicher Sicherheit» verwandelte Oscar Tuazon einen Galerieraum in eine permanent zugängliche Zone New room for all or nothing (2006). In den Raum dahinter konnte man sich durch ein Wandloch «verkriechen».
Einen in Weimar gefundenen Holztisch modifizierte Tuazon mittels Stahl-Oktaedern adaptiv zum Prototyp einer möglichen Systemreihe und bestückte ihn mit Fotokopien zum Mitnehmen Beneath Below(2006), die sich mit dem Leben in Bunkern, Höhlen und unterirdischen Räumen befassten (auch mit Blick auf Osama bin Laden und Saddam Hussein). Zur Herausgabe der maschinengeschriebenen Handbroschüre Metronome No. 10(2006) für alternative und minimalistischere Lebensweisen inspirierte Tuazon seine Suche nach der in den Wäldern Oregons nomadisierenden, 300-köpfigen «Rainbow Family», die selbst über eine bestellbare Zeitung mit der «Außenwelt» kommuniziert. Ein bedrohlich schwarzes Wandbild mit der Aufschrift appear normal or don’t appear(2006) deutete auf die Ablehnung jener, die geltenden Normvorstellungen neue Modelle entgegensetzen. Mandy Gehrt trug mit ihrem Modelabel ISLAM LOVES PEACE(2005), das europäische Mode mit islamischen Accessoires verknüpfte, die Auseinandersetzung mit der «Islamophobie» als Lifestyle in den Alltag – zu erwerben im ACC und einem Geschäftslokal in der Weimarer Marktstraße, in dem Gehrt eine Veranstaltungsreihe zum Dialog mit dem Islam etablierte. Im VideoAischa(2005) verkörperte Gehrt selbst die Rolle der fiktiven Figur einer jungen Muslimin – basierend auf Gesprächen mit muslimischen Frauen, reformuliert und zu einer Biografie verwoben. Der Galerie-Raumboden war dem des Frauenraums einer Leipziger Moschee nachempfunden. Als Kunstprojekt hatte Gehrt einen Syrer geheiratet und schilderte in Drum prüfe, was sich ewig bindet…(2005) die Behördendiskriminierung, die heiratende deutsche Frauen und arabische Männer erfahren. Ein Raum deutete die von der Hochzeitsgesellschaft verlassene Tafel an. Der Film Arabisch(2005) schilderte eine Alltagsgeschichte aus einem Zugabteil, von Gehrt in der Islamischen Zeitung gefunden, nacherzählt von 13 Leipzigerinnen. Hier wurde bereits der Sprachklang zum Angstauslöser.
Das stereotype Bild islamischer Frauen in deutschen Medien wurde in der Videocollage Allahs rechtlose Töchter (2005) transparent. Im Video So was wie dich… (2005) spielten 32 Frauen deutsche Musliminnen und gaben real erlebte Reaktionen wieder: Vom Angestarrt-Werden bis zu gewalttätigen Situationen. Nebenan waren Kopftücher mit Sätzen bestickt, die von den Problemen der Konvertitinnen beim Kopftuch-Tragen als Glaubensausdruck zeugten. Michaela Melián (München), Rik Reinking (Hamburg) und Kai-Uwe Schierz (Erfurt) hatten
gemeinsam als Juroren die Stipendiaten des 11. Internationalen Atelierprogramms ausgewählt.
Projektkoordinatorin: Christiane Haase