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  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
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Atelierprogramm

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Über den Dilettantismus

17. Internationales Atelierprogramm der ACC Galerie und der Stadt Weimar (seit 1994)

Contact/Kontakt: studioprogram@acc-weimar.de

Die Bedeutung des Begriffs „Dilettantismus“ hat sich über die Jahrhunderte gewandelt. Nachdem der Dilettant zunächst nichts anderes als eine sich liebhaberisch – oder auch: ohne das Metier zu beherrschen – der Kunst oder Wissenschaft widmende Person war, ist die Bedeutung „Kunstliebhaber“ oder „Freund des Schönen“ (dilettieren kommt vom lateinischen delectare: „sich erfreuen”) allgemeinsprachlich inzwischen veraltet. Der Begriff bezeichnet nun den „sich in einem Fach betätigenden Nichtfachmann“ oder schlimmer noch den Misstrauen erweckenden, Unheil anrichtenden „Stümper“. „Der Dilettant verhält sich zur Kunst wie der Pfuscher zum Handwerk“, erklären Goethe und Schiller, deren Namen selbst heute noch Weimar prägen, 1799 in ihrer Schrift „Über den Dilettantismus” und setzen ihn in Opposition zum Genie.

Und doch scheint es, als seien das Laienhafte, die Liebhaberei, das Unstudierte und das Autodidaktische wesentliche Triebkräfte unserer (und früherer) Gesellschaften, ohne die unsere Welt heute anders aussähe. Dies gilt besonders, wenn sich der Dilettant von der Oberfläche entfernt und seine Tätigkeit ernsthafter, selbstdisziplinierter, tiefgründiger betreibt, wenn neben der ihm typischen Zurückhaltung, Neugier und Unbekümmertheit gegenüber Konventionen professionelle Einstellung, Hinterfragen und Skepsis Einzug halten: Der Patentamtssachbearbeiter Albert Einstein entwickelte in seiner Freizeit die Relativitätstheorie, der Buchdrucker Benjamin Franklin erfand den Blitzableiter, die Papierfabrikanten Montgolfier stiegen in die Lüfte, der Priester Gregor Mendel gilt als „Vater der Genetik“, Charles Darwin begann als unschlüssiger Enthusiast. Konkrete Poesie, Absurdes Theater, Konkrete Musik, Dadaismus, Punk, aber auch van Gogh, Andy Warhol und Joseph Beuys setzen den Reigen des (Pseudo-)Dilettantischen in der Kunst fort.

Individuelle Handhabe und Eigensinn, die sich auch im Unfertigen, Unperfekten manifestieren können, Querdenken hinein in andere Disziplinen und der Widerstand gegen Standards, Prinzipien und Methoden vermeiden eindimensionales Denken, führen oft zu neuen Erkenntnissen und schützen vor selbstgefälligem Expertentum, das nicht selten zum Dogmatismus mutiert, der wiederum Ursache dilettantischer Fehlentscheidungen werden kann. Gehört dem professionellen Amateur die Zukunft? Zählt dieser Widerwillen gegen Festschreibungen aller Art nicht auch zur Charakteristik eines Künstlers?
Wir sind keine ausgebildeten Kunstexperten. Unser Kunstraum hat kein Vorbild, entspringt nicht dieser schönen bürgerlichen Tradition des Kunstvereins in deutschen Städten – in vierzig Jahren kommunistischem Diktat kam sie in Ostdeutschland zum Erliegen. Kurz vor seinem Zusammenbruch reifte das Bedürfnis, quasi aus dem Nichts in einem besetzten Haus dieses Experiment zu starten, ein Feldversuch, der nun seit zwei Jahrzehnten anhält. Wir sind Dilettanten, Amateure, Quereinsteiger, Kunstliebhaber, die sich eher intuitiv als vorsätzlich auf einem holprigen, kurvigen Weg nach dem Prinzip des Trial and Error, des Learning by Doing fortbewegen.

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