Celojums
Ausstellung Mo., 25.10.1993–Do., 25.11.1993
Lesedauer etwa 2:00 Minuten
Mit Celojums (lettisch: die Reise) betitelte eine Gruppe von Künstlern, Designern, Architekten und TV-Journalisten aus Riga, die sich 1993 in der Initiative Creative Institute 9IR (lettisch: Es sind neun) zusammengeschlossen hatten, ihr Ausstellungsprojekt, das später auf 1.000 m2 im Werk II der Kulturfabrik Leipzig fortgeführt wurde. Ziel war es, aus der Isolation der jüngeren eigenen Geschichte heraus ein internationales Forum für den Austausch zwischen Ost und West jenseits kultureller und sprachlicher Barrieren zu schaffen – die damit verbundene Expedition in den eigenen Kosmos war inklusive. Ein Katalog mit assoziativen, montierten Textfragmenten nahm Johann Gottfried Herders (1744 – 1803) Wirken in Riga (1764 – 69) und Weimar (ab 1774) und dessen Reiseberichte zum Ausgangspunkt: "Den 3. Juni reiste ich aus Riga ab und den 5. ging ich in See, um, ich weiß nicht wohin, zu gehen. Ein großer Teil unserer Lebensbegebenheiten hängt wirklich vom Wurf von Zufällen ab. So kam ich nach Riga, so in mein geistliches Amt und so war ich desselben los, so ging ich auf Reisen." (1769). Die Begegnungen, Hindernisse und Ziele, die eine Reise mit sich bringt, aber auch die Überwindung von Grenzen, Stereotypen und Gegensätzen, die das Reisen ermöglicht, materialisierten sich in der Metallgitter-Installation Labyrinth im Raum (1993) von Edgars Mucenieks, der Treppenhausgestaltung von Aigars Zemıtis, der Performance mit Feuer und Wein von Artis Dzerve, den Reisebetten (1993) auf Pflöcken (herausziehen, aufrollen, weiter geht’s) und weiteren Textilarbeiten von Ilze Breidaka und Kristıne Drengere, in Inguna Aares Filmen, der Fernsehschrottinstallation 24-Stunden-TV-Reisender (1993) von Viesturs Graždanovičs, den Mischtechniken auf Karton von Baiba Ripa, den Architektur- und Fotocollagen Das Bild der Frau in der Rigaer Architektur (1993) von Dace Kalvane und den Gemälden und Grafiken von Kristıne Keire. Viele Werke entstanden im ACC-Atelier Rübenlabor. Zwischen Riga und Weimar, Ost und West, den verschiedenen Lebensperspektiven in einem Europa der Gegensätze, war Celojums ein Vorschlag, durch eine "universale Reise" die Explosivkraft dieser Gegensätze zu entschärfen und sich den täglich auftretenden Barrieren kreativ zu nähern: "West und Ost / Ost und West / wer hat sich dieses Spiel ausgedacht?! / soll er es doch selbst spielen! / ich spiele nicht mit / wir spielen lieber Lotterie / wo die Glückszahl unbekannt ist / die Sonne geht im Westen unter / aber im Osten geht sie auf / anders kann es nicht sein / gut dass die Menschen nicht ändern können / wo die Sonne auf- und untergeht / verändern können die Menschen / ihre ausgedachten Grenzen / es gibt keinen guten und cleveren Westen / und keinen schlechten zurückgebliebenen Osten" (Katalog). Als in der Eröffnungsnacht zwei mit Textilmalerei verkleidete Ruderboote (Ilze Breidaka und Kristı ¯ne Keire) an der Sternbrücke, die mit Projektionen in ein anderes Licht getaucht war, festmachten, wandelte sie sich zum Symbol eines historischen Weges. Im Projektrahmen wurden auch 16-mm-Produktionen aus dem lettischen Underground der 1970er (Lauris Gundars: Griezums) und neue experimentelle Videos (Hardijs Ledins, Roberts Vinovskis, Lauris Bruvelis, Ansis Egle, Arta Egle, Aija Stafecka, Inguna Aare) gezeigt. Inguna Aare dokumentierte die Reise für einen Film des experimentellen TV-Studios "ES" beim staatlichen lettischen Fernsehen, in dem die zweijährige Darta Muceniece eine Hauptrolle spielte: als Symbol für die Zukunft.
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Erste Eindrücke