zum Inhalt
  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
  • So–Do 12–18, Fr–Sa 12–20
  • +49 3643 851261

Ausstellungen

Flotsam and Jetsam. Ballast und Treibgut.

Ausstellung Sa., 12.01.2002–So., 17.02.2002

Lesedauer etwa 3:19 Minuten

Liz Bachhuber / Stefan Baumberger / Mario Bierende / Daniel Guischard & Karo Kollwitz / Peter Heckwolf / Claudia Herbst / Katharina Hohmann / Andrea Huhndorf / Martin Kuban / René Kusche / Marc-Oliver Lau / Christoph Liebrich / Nadia Marcin / Steffen Mittelsdorf / Marko Neumeister / Frank Petschull / Tamara Pitzer / Sophia Rasch / Georg Riedel / Felix Ruffert / Anthony Rumbach / Alexander Voigt / Leonie Weber (alle DE) / Rafa Bernabeu (ES) / Nina Lundström (SE) / Akiko Oshima (JP) / Dorotha Thometzek (PL) / Yuhei Watanabe (JP)

Kuratorinnen: Liz Bachhuber und Katharina Hohmann (beide Weimar)

Verwitterte Fernsehantennen von Leipziger Dächern – für DDR-Bürger symbolisierten sie das Fenster zur Welt, vielleicht den Himmel über dem Horizont – funktionierten Karo Kollwitz und Daniel Guischard zu Vogelnistplätzen um. Räumlich gefasst innerhalb eines glitzernden Vorhangs aus gebrauchten Videobändern, servierte Dorotha Thometzek Bandsalat: Im Video Gesättigt? wurde ein Haufen Magnetband genüsslich aufgewickelt und verspeist. Auf einer Wand erhielten von Felix Ruffert arrangierte, ausrangierte DDR-Gegenstände seines Versuchs-Laboratoriums, Geräte, deren ursprüngliche Funktionen in Vergessenheit geraten waren, einen neuen Sinn. Marco Neumeisters minimalistische Komposition variabler Größe, Weißblech, bestand aus Dosen, die, geglättet und geschliffen, eine liebevolle Behandlung erfahren hatten. In einem Lebensmittelladen hatte Leonie Weber Verpackungsmaterialien gefunden, aus denen sie ein Modell jenes kleinen mexikanischen Geschäfts originalgetreu baute: Chicago (Rodriguez Mini Food Mart). Stefan Baumbergers ausrangierte, flackernde Leuchtstoffröhren, die – kurz vorm Ableben – wie Organismen geräuschvoll zuckten und zirpten (Leuchtstoff, nervös), waren in einem abgedunkelten Sicherungsraum «artgerecht» untergebracht. In Liz Bachhubers Wandblock Eisvögel aus 15 gebrauchten DDR-Kühlschranktüren der Marke «Kristall» flog eine Schar Wildgänse gen Himmel, herausgeschnitten aus den Türen und von hinten als Lichtwelle illuminiert. Claudia Herbst bastelte in Anatomiestudien das menschliche Skelett nach – Plastikkörperteile als Scheinprothesen in Echtgröße, Implantate aus Müll mit makabrer Note, weil anatomisch präzis. Yuhei Watanabe malte und collagierte auf Planken eines zersägten Bildes eine verwüstete Landschaft, auf der Bierdeckel und Zigarettenstummel dümpelten – der Blick auf eine Straßenecke im Winter? In sieben übergroßen Reagenzgläsern, eines für jeden Wochentag, zeigte René Kusche – als Statistik des Rauchverhaltens und seiner Müllproduktion – in Kneipen gesammelte Zigarettenstummel. Einweggeschirrr aus dünnem Plastik, wie Becher und Pommesschale, formte Georg Riedel aus Porzellan nach: haltbar, edel und mit Goldrand. Mit Colonisation führte Alexander Voigt die Verpackungseuphorie und die Konsumwelt in hunderten, aus Plastiktüten genähten Fahnen vor und konterkarierte Flaggen vor dem Weimarer Rathaus mit eigenen am ACC. Mario Bierendes Sammlung – Schmetterlinge in Vitrinen – waren nichts anderes als Scherenschnitte aus buntem Weißblech. Riesige Schleifscheiben aus dem Müll der Uni-Holzwerkstatt verwandelte er zu zielscheibenartigen Wandbildern. Auf den purpurroten Filzkissen in Andrea Huhndorfs Seifeninstallation sahen gesammelte kleine Seifenreststücke wie wertvolle Reliquien aus. Ihre Zettelinstallation aus gefundenen, zu einem Erzähltext aneinander gereihten Notizpapieren sollte die heimliche Sprache der Gesellschaft enthüllen. Ähnlich den vom Wind aufgewirbelten, in Baumästen verhedderten Plastiktüten hing Nadia Marcin Kleidungsstücke in Baumwipfel – geschmückte oder verunreinigte Stadtnatur? Akiko Oshima bemalte ihr Tagebuch – über hundert kleine Pappschachteln – je nach Tagesstimmung innen mit anderer Farbe. Ein gefundenes Erinnerungs stück gab jedem Tag seine einmalige, metaphorische Bedeutung. Einen staubbedeckten Tisch und einen Stuhl, beide mit künstlich verlängerten Beinen, zeigte Nina Lundströms Dust to Dust. Am Tisch saß, mit baumelnden Beinen, engelsgleich eine Frau, die in Endlosschleife Staub produzierte, nichts alsStaub. Katharina Hohmann machte in einer dokumentarischen Fotoserie kleine, unbedeutende, mit Wellasbest eingedeckte Häuser, Schuppen und Fabriken zu Ikonen immerwährenderSchönheit inmitten einer innen vergoldeten, tempelartigen Skulptur. Eternity Pieces befasste sich mit dem Mineral Asbest, auf griechisch «das Unauslöschliche», das gegenwärtig als giftiger Bestandteil von Architekturelementen großfl ächig rückgebaut wird. Müll oder Ewigkeitsträger? Seine Sammlung ausgedienter, zerfledderter Besenköpfe fotografierte Peter Heckwolf detailgenau und verstärkte deren Eigenwilligkeit digital, um diesen Ikonen geronnener Zeit als Träger kollektiver Erfahrung eine letzte Ehre zu erweisen. Tamara Pitzer komponierte aus gesammeltem, unbenutztem Videomaterial – Videomüll – einen Film, der zugleich Trash und Patchwork war. Frank Petschull programmierte einen Computerpilz, der binnen einer halben Stunde als Infektion, die ihre Mycelarme ausstreckte, den Bildschirm überzog. Sophia Rasch ummantelte Müll mit naturweißem Filz, der die Objekte wie mit einem Weichzeichner zu merkwürdigen Kissen oder Pilzen aufwertete – einem neuen Stück Natur. Christoph Liebrichs Computerprogramm zerlegte Datenmüll und führte ausgesonderte Dateien in die Buchstaben des Alphabets zurück. 500 transparente Müllsäcke, gefüllt mit verbrauchter Atemluft des Künstlers, die sich bei Luftzügen raschelnd bewegten, formten Anthony Rumbachs Installation Weitermachen. Die Erzählform von Rafa Bernabeus Videocollage aus zwei Erfahrungswelten – alltäglichen eigenen Beobachtungen und TV-Mitschnitten – blieb im assoziativen Schwebezustand. Marc-Oliver Lau fand Stühle, Bettkästen, Bänke auf dem Weimarer Sperrmüll, auf ein leeres Gestell reduziertes Mobiliar, um dessen hölzerne oder verchromte Skelette er neue Bezüge aus ausgedienten Fahrradschläuchen wob. Martin Kubans Designobjekte verkörperten seine Philosophie Ecomental und schmückten als Lampen aus Milchtüten oder Schubfächer aus Frischkäsebehältern das ACC-Café. Ein Teppich aus bunten Tetrapack-Milchtüten war neben Munitionshülsen, gefunden in einer ehemaligen sowjetischen Kaserne und fein säuberlich mit Blümchentapete umklebt, Steffen Mittelsdorfs harmlosere Arbeit. Kunst und Müll – Kunst mit Müll.

Diese Seite teilen