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  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
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Ausstellungen

Kopf an Kopf - Head to Head - Tête à Tête

Ausstellung Sa., 07.02.1998–So., 22.03.1998

Kopf an Kopf

Lesedauer etwa 2:10 Minuten

3. EUROPÄISCHES ATELIERPROGRAMM 1997 | ACC GALERIE UND STADT WEIMAR

Amanda Dunsmore (IE) / Asa Elzén (SE) / Stefan Holler (DE)

Programmleiterin: Mary Rozell (Weimar)

Weimar gilt seit der Klassik als Ort der ≪großen Denker≫ – der ≪großen Köpfe≫. Deren Dichte und Allgegenwart in Diskurs und Stadtbild formten Identität, Bewusstsein, Mythos der Stadt, das kollektive Bedürfnis, an ihrer Historie festzuhalten, Selbstgefälligkeit und ≪Erinnerungswut≫.

Consuming Politics (1997) von Amanda Dunsmore, gezeigt zunächst in der Weimarer Galerie Unart im Hauptbahnhof, bestand aus zwei rückseitig aneinander gestellten Monitoren, die zum einen irische Fernsehwerbung, zum anderen Nachrichtensendungen zeigten. Jedoch waren die Tonspuren der Clips vertauscht, sodass Soldaten und Politiker mit ernsten Mienen Waschmittel anpriesen und auf der Gegenseite glückliche Hausfrauen Tod und Verderben kommentierten, was die Lächerlichkeit der politischen Situation und der gehirnwäscheartigen Werbespots unterstrich. In ihrer Weimarer Zeit entdeckte Dunsmore 917 aussortierte Straßenschilder, die nach Weststandard durch Plastikschilder ersetzt werden mussten und auf ihre Entsorgung warteten. Als Hüterin dieser Symbole der Stadtgeschichte arbeitete sie die Emailleschilder, die Namen wie ≪Straße der Jungen Pioniere≫, ≪Karl-Marx-Platz≫ oder ≪OdF-Siedlung≫ trugen, auf, archivierte sie in 40 Objektkisten in der ≪Halle Roter Oktober≫ und verwandelte mit ihnen einen Galerieraum ins blaue Schildermeer DER PLAN (1997). Vergangenheit und Gegenwart von Weimars Straßen untersuchte Dunsmore und fotografierte jedes Straßenschild der Innenstadt, woraus die Leuchtkasteninstallation Three Boxes of Weimar (1997 – 98) entstand.

Salz, das ≪weise Gold≫, faszinierte Ȧsa Elzén wegen seiner ästhetischen Qualitäten und der Assoziationen von Bewahrung und Korrosion, Leben und Tod, Unsterblichkeit und Vergänglichkeit, die es erweckt. Nach einem Besuch der Salzmine Merkers und des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald meißelte sie aus Salzblocken mehrere androgyne Büsten: gesichtslose Torsi, die sie im öffentlichen Raum platzierte, so auf dem Balkon des so genannten ≪Hitlerturms≫ am ehemaligen Gauforum und im Wald zwischen Schloss Ettersburg und Buchenwald. Im Freien setzte ein langsamer Verwitterungsprozess ein, die Figuren ≪schmolzen≫, verloren mehr und mehr ihre Gestalt. Nach dem Vorbild eines Waschbeckens in Bad Salzungen formte Elzén eines aus Salz, mit Bezugnahme auf Pontius Pilatus, der vor dem Volk seine Hände in Unschuld wusch. In einem Galerieraum, in dem die Überreste der Salzblöcke auf dem Fußboden glitzerten, wurde in s /w Gradierwerk Bad Sulza (1997) projiziert: Man sah von hinten drei Gestalten durch das Gradierwerk gehen – in weisen, gespenstisch anmutenden Umhängen. Das langsame Schleifgeräusch des Super-8-Projektors unterstrich Vergehen von Zeit, schuf unheimliche Atmosphäre.

Auf seinem klassisch anmutenden Ölbild Weimarer Weltschmerz (1997) malte Stefan Holler C. D. Friedrichs Mond über dem Riesengebirge (um 1810), wie er es im Weimarer Stadtschloss vorfand – als Zeitdokument einer Präsentationssituation im epochenübergreifenden künstlerischen Dialog mit einem die Melancholie der Romantik ironisierenden Objekt Norbert W. Hinterbergers. Hollers Blick aus Goethes Gartenhausküche (1997) vermittelte den Eindruck der überrestaurierten Leere dieses Ortes. Nur ein an Vermeer erinnernder, durch ein Fenster auf den Boden fallender Lichtstrahl und spärliche Flurbeleuchtung belebten den einsamen Ort. Feuerstelle in Goethes Gartenhaus (1997) – kahle Wände, ohne jede Spur von Leben – schien zu bezweifeln, ob jene jemals benutzt wurde. Und obwohl ein üppig ausgestatteter Palast den Gast mit pastellfarbenen Wänden und Leuchtern empfing, schenkte Holler in differenzierter Farbe dem alltäglichlebendigen Objekt im Interieur im Schlossmuseum Weimar (1997) Beachtung: dem Klimagerät.

Zur Stipendiatenjury zählten Dr. Jean-Christophe Ammann (Frankfurt am Main), Dr. Petra Lewey (Zwickau), Mary Rozell (Weimar), Dr. Kai Uwe Schierz (Erfurt) und Christoph Tannert (Berlin).

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