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Ausstellungen

made in MUNROI by Martin Fink

Einzelausstellung, Martin Fink (DE)

Sa., 11.05.2024–Mi., 31.07.2024

Lesedauer etwa 32:21 Minuten

Seit 2012 befasst sich Martin Fink mit dem Utopischen. Seine Idee zur fiktiven Stadt MUNROI—The City of Shelter and Force, inspiriert von Ballungsräumen wie São Paulo oder Belo Horizonte und deren suburbanen, scheinbar unwirtlichen Hinterländern, aber auch von der thüringisch-hessischen Kalisalzregion und der vom Wind gepeitschten Pampa Patagoniens, setzt er seit einem Jahrzehnt per Zeichnung, Fotografie, Videografie, Projektion oder Objekt ins Bild und kombiniert dabei Grafik und Street Art mit architektonischen und geopolitischen Fragestellungen. Martin Finks bisher umfassendste Ausstellung dieses Langzeitkunstkonzepts zeigt die fremd wirkend, an Gesteinsformationen, Wüsten und Höhlen erinnernden Landschaften, die sich in Räumen, Installationen und Ortstransformationen ausbreiten, zeigt MUNROI als Konglomerat, Wandelstern, Ciudad, als Lebensentwurf, Zelle, Kommune, als flüchtige Erinnerung, Filmriss, Reklameschild, als Utopie und Dystopie, als Fundstätte, Flucht vor der Realität, als eine Geschichte von Menschen, die nie dort wohnten: Shangri-la, Xanadu, San Pedro, Atlantis und Titanic. Munroi ist eine Stadt aus einer parallelen Dimension und seit 2006 utopische Ausgrabungsstätte verschiedener Künstler*innen. Entdeckt wurde die Stadt MUNROi von Martin Fink, der sie seither auf aktuelle Phänomene der Raumentwicklung hin untersucht. Dabei unterscheidet er zwischen zwei Architektursystemen, geplante FORCE-Einheiten und aus der Not heraus entstandene SHELTER-Bereiche. 

Martin FInk über MUNROI

Munroi ist eine utopische sowie dystopische Stadt, wobei ich mich mit Architektur und dem naturalistischen Raum, dem Backland, auseinandersetze. Geopolitisch interessieren mich Bilder mit der Schlagkraft eines dich anspringenden Tigers, was dem gleichkommt, als würde jemand eine laufende Kettensäge nach dir werfen.

Über Martin Fink

Martin Fink (*1983 in Bitterfeld) studierte an der Bauhaus-Universität Weimar Public Art und New Artistic Strategies. Auf Reisen und Studienaufenthalten in Lateinamerika hinterließ er in Städten wie Rio de Janeiro, Sâo Paulo oder Buenos Aires Street Art. 2012 hatte der freischaffende Künstler die Idee zur fiktiven Stadt MUNROI — The City of Shelter and Force. Martin Fink kann auf zahlreiche Projekte, Einzel- und Gruppenausstellungen in Ländern wie Deutschland, der Schweiz, Argentinien, Marokko, Polen und Bosnien zurückblicken. In seinen Werken verbindet er auf spezifische Weise Grafik und Street Art mit architektonischen und geopolitischen Fragestellungen. Martin Fink beschäftigt sich mit dem Utopischen. Seine Objekte, Zeichnungen, Fotografien und Videografien konstruieren Nivalis, das suburbane Hinterland seiner utopischen Stadt Munroi. Es sind am Rechner generierte Landschaften, denen Aufnahmen realer Landschaften aus Thüringen zugrunde liegen. Seine Bilder und Projektionen wirken sonderbar fremd und erinnern an Gesteinsformationen, an Wüsten und Höhle.

Martin Finks Kunstinstallationen basieren auf Video im Zusammenspiel mit Architektur. Diese Methode zur Kunsterzeugung ordnet er der Shifted Architecture oder Drive By Architecture zu und bezieht sich darauf, wie sich der urbane Raum aus vorgefertigten Platten oder anderen Bauteilen zusammenfügt. Ihn interessiert die Vielgestalt von Oberflächen, wie sie in den Metropolen vorkommen und unseren physischen, aber auch sozialen Lebensraum formen. Seine digitalen und physischen Interventionen erfinden bestehende Orte neu, überformen unser sichtbares Umfeld zu etwas Neuartigem, Niedagewesenem. Mit fünf Jahren in Brasilien neugeboren, wird seine Vorstellungskraft von der modernen Architektur beherrscht und nicht selten von tropischen Elementen unterwandert. Seine Kunst verfolgt einen somnambulen Ansatz zur Erforschung verschiedenster Gegenden in Lateinamerika und Afrika sowie Asien oder eben Europa. Nach dem Diplomstudium in Freier Kunst schloss Martin Fink mit einem Master of Fine Arts (MFA — Public Art and New Artistic Strategies) an der Bauhaus-Universität Weimar ab. Währenddessen erkundete er neue Ufer während mehrmonatiger Studienaufenthalte an der Universidade Federal de Minas Gerais (UFMG) im brasilianischen Belo Horizonte und an der ULSTER University im nordirischen Belfast.

Sicht der Ausstellungsräume

Terminal Space

Ist die Destination des MUNROI Jetstream Airport 1 mit ihrer tropischen, in ansprechenden grünlichen, bläulichen und violetten Farbtönen strahlenden Stadtkulisse aus Hochhäusern, Gesellschaftsbauten, Verkehrsinfrastruktur und Palmen nur ein Stopover? Vermutlich, denn nach Check-in-Schalter und Info-Stand wird man erneut zu Gates mit Connecting Flights geschleust: zu Cities wie MUNROI City, Envergadura, Béal Feirste und Carmesim oder Backlands wie Nivalis, Flutura und Ventora. Es geht recht eng zu – was einen labyrinthisch vor sich hin mäandernden Parcours erahnen lässt. Aus dem Hintergrund ist ein Soundteppich à la Pink Floyd zu vernehmen. Man möge sich entspannen und die Reise genießen, wirbt es mehrfach von den Wänden. Ein Wonnegefühl will sich dennoch so schnell nicht einstellen. Da ist zuviel Unsicherheit, Doppelbödigkeit, aufgebühnter Zirkus, Staffage, Pappmaché dabei: potemkinsche Dörfer. Weswegen neugierige Spannung mit besorgter Skepsis Hand in Hand geht angesichts einer Unkenntnis, die Fragen wie „Wohin führt das?“, „Wie geht das weiter?“ und vielleicht auch „Quo vadis, Mensch?“ aufwirft. Und weswegen sind die Passagiere mit unterschiedlichsten Zahlen nummeriert, was beim Autoren eine unangenehme Assoziation Richtung Margaret Thatchers poll tax, der Kopfsteuer, hervorrief?

Backlands Space

Im späten 19. Jahrhundert wandte George Chisholm, der schottische Vater der Wirtschaftsgeografie, das deutsche Wort „Hinterland“, das „Land im Rücken“, speziell auf die Region an, die sich unmittel-bar hinter einem Hafen oder einer Küstensiedlung befindet, also wirtschaftlich mit einer nahegele-genen Stadt verbunden ist, und übernahm damit hinterland in den englischen Sprachraum. Jenes Provinzland, nicht selten Einzugsgebiet im Pendlergürtel, steht jedoch auch für die Outlands und Backwoods, trockene, spärliche, karge, unwirtliche Gegenden mit dünner Besiedlung und wilder Na-tur, deren Ressourcen vom Menschen bereits ausgebeutet wurden. Zeugen dessen sind die hessisch-thüringischen Berge des Abraumes der Kaligewinnung, weithin sichtbar, bis zu 500m hoch, die ent-stehen, wenn aus 600m Tiefe Salz gehoben wird, für den Dünger im Landbau, für die Medizintech-nik, die chemische Industrie und den Winterdienst, 900 Tonnen pro Stunde. Oder die Restbrüche des seit 1999 stillgelegten Schiefertagebaus im südostthüringischen Lehesten. Oder die gravierenden Spuren, die der Klimawandel in der flachen Hochebene der argentinischen Pampa hinterlässt, wo Landmassen vom schiebenden Eis geschliffen und durch Schneeschmelze freigelegt werden und der gewaltige Rückgang der Eismassen Marslandschaften formt.

Train Space

Acht Sitze hat unser Zugabteil, signalorange leuchten sie im Schwarzlicht, wenn wir wie der Tren Patagónico mit wenigen Stundenkilometern an bizarren (artifiziellen, aber natürlich anmutenden) Canyonlandschaften, schroffen Felsnadeln und tiefblauen Wassern entlanggleiten. Nebelschwaden steigen aus den unermesslichen Weiten der Wälder und Gebirge auf, erinnern an Meteora, ein Gebiet in Griechenland. An den unmöglichsten Standorten tauchen Häuser auf, Konglomerate aus schräg ineinander verschachtelten, traditionellen wie modernistischen Architekturen. Dann ein Dorf. Die „Kinder des Sturms“ bolzen auf dem Fußballplatz, während Busse sowie Dächer wie Geschosse am Spielfeldrand vorbeifliegen. Winde fegen über die Pampas und schleifen wie Sandpapier liegengebliebene Karosserien oder zerlegen nach und nach verlassene Wohneinheiten. Sirenenartige Warnklänge ertönen. Auf der anderen Fensterseite geht es vorbei an Gletscherseen, Springfluten, Gebirgspässen, Gesteinsformationen. Aus einer Baumkrone startet ein Vogelschwarm (Hemignathus munroi?) lärmend himmelwärts. Wir sind in Nivalis, dem suburbanen, menschenleeren, schneeweißen Hinterland von MUNROI. Irgendwann taucht ein forsch voranschreitender, behelmter Mensch auf: Der Künstler selbst? Ein Eremit? Ein Letzter seiner Art? Ein Forscher?

Carmesim Space

Dunkelrot färbt sich der Mittsommerhimmel. Mediterranes Klima. Das Gedränge auf den Straßen nimmt bei angenehmer Brise zu. Der Übergang von den gefährlichen Gassen zum beruhigten Zentrum am Meer ist fließend. Bei veränderten Gravitationskräften bilden sich wider statischer Regeln Räume aus Dächern, Böden und Wänden. Architektur beginnt zu schweben. Der Krebsgang ist ein Müßiggang, doch nicht für die Bewohner*innen dieses Viertels, die mitunter im Handstand an der Decke laufen. Der Verkehr konzentriert sich nicht nur auf den Boden – wird an Wänden und Decken fortgesetzt. Sich nur auf Füßen fortzubewegen, ist zu umständlich. Die Kompassnadel dreht sich gen Süden. Magnetfeld, Anziehung der Materie und Schwerkraft haben sich geändert. Im Bairro do Carmesim suchen Künstler*innen, Akrobat*innen, Athlet*innen auf Straßen, Bühnen oder andernorts ihresgleichen oder Publikum. Extravagante Lebensstile. Exotische Tiere. Gemeinschaftliche körperliche Aktivitäten. Fitness. Spirituelle Erholung. Ein riesiges Labor für Gestaltung und Tragwerkslehre – und Magnet für Architekt*innen, Ingenieur*innen, Wissenschaftler*innen. Eine bunte Gesellschaft: Basis für Kreativität und Spannung. Dieser Ort ist vom Elend nicht befreit und Demonstrationen zeugen vom Antrieb der politisch-kritischen Auseinandersetzung.

Nivalis Space

Plötzlich sind wir wieder im Hinterland Nivalis, 27-fach, das letzte in einer Ausstellungswand verschwindend. Nivalis (lat.) bedeutet so viel wie „schneeig”, „schneeweiß“ oder „eiskalt“. Die At-mosphäre hier ist kühl, kristallklar und irgendwie salzig. Man fühlt sich fremd auf diesen Trabanten, nicht willkommen, doch schwindet dieses Gefühl, hat man sich erstmal umgeschaut: eine Kaskade von Landschaften unterschiedlichster Farben, Formen und Oberflächen, die Gesteinsformationen, Wüsten, Steppen, Höhlen oder Gletschern gleichen. Ein Rot, das an den Sandsteinmonolith Ulu-ru/Ayers Rock und das Rote Zentrum im australischen Outback erinnert und das durch Oxidation vom im Sand enthaltenen Eisen entsteht. Ein Gelb, das dem der Sonne ähnelt und der kühlen Ausstrahlung der Collagenserie entgegensteht. Ein Blau, wie Gletscherformationen der Alpen, ist bei näherer Betrachtung pures Salz – gewaltige Salzberge über einer rötlich kristallinen Form ziehen sich durch ausgedehnte Waldgebiete, strahlen Ruhe aus. Andere Landschaften sind laut, viel passiert auf kleinster Fläche. Verändern sie sich? Kann man in diesen wundersamen, unbestimmten Welten leben? Nun, man kann sie auf sich wirken lassen, wie das die drei Personen auf drei Gemälden tun, die an C.D. Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer erinnern.

Under Water Space

Ein dunkelblauer Raum ist voller Zivilisationsmüll (Alulüftungsrohr, Stromkabel, Eisenstelen, Plastikschüsseln, Stuhl, Metallpapierkorb und -gitterrost). Dahinter ein großes Gemälde, auf dem man Plastiktüten, Sonnenschirme, Kanister, eine Camping-Isomatte, eine Waschmaschine oder ein Plastikkuscheltier ausmachen kann. Die Verschmutzung des Mittelmeeres durch Plastik wurde hier ins Bild gesetzt. Nur wenige Meter unterm Meeresspiegel existieren seit den 1980ern Abertausende von Müllstrudeln, „Plastiglomerate“ nennt man die neue „Gesteinsart“, neue Inseln, die vielleicht unsere urbanen Minen werden, aus denen wir Rohstoffe gewinnen. Martin Fink: „Wir müssen hingucken, damit leben lernen, erfinderisch sein und das Beste daraus machen.“ Inspiriert zu diesem Gemälde hat ihn eine Flächengrafik aus der Monatszeitung Le Monde diplomatique, die als Balkendiagramm auf dem Bild wieder auftaucht: sandfarben jener Müll (3.500.000.000t), der auf dem Meeresboden lagert, hellblau der an den Küsten liegende Müll (2.500.000t), dunkelgrau der Müll, der an der Meeresoberfläche schwimmt (1.800.000t), blaugrau der sich in Meeresfauna befindende Müll (9.500.000t) und rot der im Meer strömende bzw. schwebende Zivilisationsmüll (850.000t), alles nach einer Auswertung von 99 Studien aus dem Zeitraum 2008–2019.

Garbage Patch Space

„Wenn ich an deutschen Stränden spazieren gehe, finde ich kaum noch Bernstein, flaniere ich an brasilianischen Küsten, gibt es kaum noch Muscheln. Werden die bereits bei Morgengrauen alle weggesammelt?“ Der Müllflickenraum verdeutlicht auf neun Gemälden, „was auf dem Spiel steht, wenn wir so weitermachen.“ Ganze Armadas von Neuwagen wurden bereits im Meer versenkt, Straßenbahnen, Fahrräder. Die Menschheit macht „ganz schön Party in den Unterwasserregionen dieser Welt.“ Ein Birkhuhn wird von einem Karpfen verschlungen, dessen Habitat ein untergegangenes Autowrack ist. Ein Thunfisch jagt Plastikfischen hinterher, neben ihm Raketenreste aus dem Zweiten Weltkrieg und ein untergegangenes Schiff mit Tauen und Seilzeug. Fischfangnetze, in denen sich Meeresgetier verfängt, sind dessen größte Feinde. Die Wasserverschmutzung beginnt bereits in den Süßwasser-Binnenlandregionen. „Grund zur Zuversicht bestünde, wenn wir es schaffen sollten, die längsten Flüsse der Erde, unter ihnen Nil, Amazonas, Jangtsekiang, Gelber Fluss (Huang He), Mississippi, Jennissei, Mekong und Kongo, zu bereinigen. Und vielleicht können wir eines Tages die neuen Biomasseinseln, vor sich hin treibende Konglomerate aus natürlichen Stoffen und Zivilisationsmüll, Garbage Patch Objects, als neue Baustoffe wiederverwenden?“

Central Space

Im zentralen Raum schweben windschief und schwerelos fünf Gebäudekomplexmodelle, von Architekt*innen als so genannte Force-Einheiten vorgegeben, geplante Baukörper, die entweder fest verankert oder mobil als Teil einer Plug-in- und Add-on-Architektur funktionieren. Alle Straßen und Verkehrstrassen wurden unterirdisch verlegt, über der Erde bestimmen Ästhetik, Design und Philosophie das Geschehen. Teils hat Martin Fink, den Reiz vordiktierter Form, Farbe und Materialität ausnutzend, die Holzstrukturen aus dem Bauhaus-Uni-Müll verschiedener Werkstätten gefischt und andernteils, inspiriert von jener Metropole „aus zugebautem Raum, wo alles in die Höhe schießt“, São Paulo, intuitiv und selten maßstabsgerecht alles zusammengebaut. Man erkennt ein Hafenareal, eine Gebäudebox aus Werbeflächen (Oberbürgermeister Gilberto Kassab verhängte 2007 ein Werbeverbot), die aufgeständerte Architekturskulptur eines Bahnhofs oder eine Bildungseinrichtung: Auf einem der Skyscraper zwei Graffitisprüche: „HIGHER EDUCATION from da Street below!“ und „Lerne zu brennen – Learn to burn“. Im Sinne von Oscar Niemeyers Copan-Gebäude wird in den unteren Etagen der an Raumschiffe erinnernden urbanen Inseln offenbar gehandelt, gibt es womöglich Friseure, Bäckereien und Reisebüros, während oben drüber gewohnt wird.

Shelter Space

Shelter sind ursprünglich illegale Landaneignungen, aus der Not heraus gebaute Provisorien und Hütten. Sie bilden oft unüberschaubar gewordene Lebensräume, denn es wird so weit und so lange gebaut, bis es nicht mehr geht. Shelter sind als gemeinschaftliches Haus ständig erweiterbar, die Baumaßnahmen nie richtig abgeschlossen. Unterkünfte können schnell an Veränderungen, wie Familienzuwachs und Arbeitsbedingungen, angepasst werden und bilden flächendeckende Labyrinthe. Der Bahnhof zwischen zwei Halbkreisen aus gerade gebauten Stadtstrukturen zeigt modellhaft eine Erschließungsform dieser Stadtgebiete, die oft nicht mehr mit dem Auto zu durchqueren sind, sondern nur zu Fuß, weswegen sie per Schienenstrang an die Stadt angebunden werden. Das seit 2007 existierende und nicht ungefährliche „Blikkiesdorp“ (Blechdosen-Dorf) erhielt seinen Namen von den Bewohner*innen wegen der aneinandergereihten wellblechähnlichen 1.600 Ein-Zimmer-Hütten in der Siedlung. Hier arbeitet der Rapper Yung D Trey, den Martin Fink auf einer 14-schichtigen Acrylglas-Fotomontage abgebildet hat. Die gegenüber hängende Digitalcollage „Der neue Mensch, featuring Anna Lysenko (made in munroi)“ zeigt im Kontrast die genannte russische Pianistin und Künstlerin unter MUNROIschen Umständen als Abbild eines reisenden Menschen.

Techno Space

Im von elektroakustischen Klängen erfüllten Techno Space werden Beobachtungen durchgeführt – der Jetstream Man (der auch ein Jetstream Woman sein könnte) übernimmt das, eine Art Superheld mit Forschungslabor, der durch die Backlands fliegt. Performanceartisten gehen währenddessen ihren Vorführungen oder Übungen nach. Man sieht sie von oben. Über unseren Köpfen schwebt ein Flatscreen, der eine Bewegtbildcollage aus der Vogelperspektive des 51 Meter hohen Hotels Europa in Belfast zeigt. Während des Nordirlandkonflikts war das Hotel, in dem die meisten Journalist*innen, die über die Unruhen berichteten, untergebracht waren, das mit 36 Bombenanschlägen am häufigsten bombardierte (und immer wieder rekonstruierte) Hotel der Welt. Auf einem Flatscreen geht es um das MUNROI-Stadtviertel BÉAL FEIRSTE. Ein Film liefert Sequenzen aus utopisch anmutenden Visualisierungen einer imaginären Metropole, die „eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem nordirischen Belfast“ aufweist. Das Hotel Europa taucht wieder auf, ebenso eine Shopping Mall und der Jetstream Man. Der menschliche sowie mobile Betrieb auf den Straßen scheint befriedet. Weitere Filme zeigen sich bekämpfende Performer*innen im bosnien-herzegowinischen Mostar und ein Bewegungsritual des Performancekünstlers Otto Oscar Hernández Ruiz.

Shelter & Force Space

Shelter & Force bilden die beiden baustrukturellen Säulen MUNROIs. Beide Begriffe stehen in weißen Riesenlettern auf den Wänden einer dunklen zwielichtigen Gasse (der Drogendealer und Hehler, Verbrecher und Draufgänger, Zuhälter und Prostituierten, für die der Gang ein idealer Laufsteg ist). Rohe und kalte Straßenzüge, in denen spröde, von Löchern durchsiebte Asphaltbeläge Skateboards und Türsteher Knochen entzweibrechen – ausgerechnet hier begeben wir uns auf die Suche nach Liebe und Zuneigung. In der Abgeschiedenheit, im Dreck, der von Schatten verdeckt wird, werden wir fündig: Hierhin, tief in die Straßenschluchten, Keller und Industriebrachen, hat sich das Leben von den Stirnseiten der Gebäuderücken verkrochen. Wer dem ekstatischen Alltag entkommt, wahrt im Dunkel von Parkhäusern und Technoclubs, in denen sich Raumgrenzen auflösen, angesichts zuckender Lichtpunkte und blitzender Stroboskoplichter zwischen Videoscreens und vermeintlich endlosen Space-Web-Visuals Anonymität, stellt seine Fetisch-Neigungen zur Schau. Im Partyrausch ausgebombter Vorstadtareale sind androgyne Wesen, Travestie und anzügliche Fashion keine Seltenheit und lose zwischenmenschliche Verbindungen und One-Night-Stands sind flüchtige Liaisons dangereuses en passant fernab und doch inmitten der Zivilisation.

Memoirs Space (im 2. Obergeschoss)

Der Memoirenraum entführt uns in die Gedankenwelt des Martin Fink. Das 160x180cm-Gemälde „Heritage“ fragt danach, was wir hinterlassen wollen und was auf dem Spiel steht, wenn „die Architektur der grünen Natur immer wieder auf die Pelle rückt“. Die Papierarbeit „Envergadura“ (port. „Spannweite“) bildet das Regierungsgebäude MUNROIs ab. Eine Digitalfoto-auf-Dibond-Collage zeigt den argentinischen Glaziologen Pedro Skvarca, von wissenschaftlicher Neugier getrieben, der Martin Fink zum Perito-Moreno-Gletscher geführt hat. Eine weitere Fotomontage bildet ein per Photoshop aus Finkschen Fotos und Videostills entstandenes schieferähnliches Nivalis-Fantasiegestein ab. 10 Grundstücksstudien, 3 Architekturmodelle und 29 Zeichenstudien in drei Vitrinen runden die Schau ab: Eine „Walking Favela“ in Form einer brasilianischen Kakerlake, konstruktivistische Grimassenporträts von Verwandten und Bekannten, Zeichnungen von durch Abholzung entstandenen, schlammverwüsteten Gebieten mit Fragmenten eines Klaviers, Gletscherseen, eine Ansicht der Palafita Cana, einer öffentlichen Volkswerkstatt, eine Zeichnung von einem einsamen Fischer auf Chiloé, eine Zeichnung der Wüste Salar de Uyuni in Bolivien, patagonische Landschaftspanoramen, Bootsentwürfe und bootsähnliche Wohnhäuser mit Bullaugenfenstern.

64 Fragen an Martin Fink

ACC: Dein Sternbild? Martin Fink: Waage: Produziert nicht selten Stress, der ausgebügelt werden muss. Du kommst aus Bitterfeld—Wolfen. Was hat Dich von da geprägt? Martin Fink: Die Weitläufigkeit der Landschaft: Keine Berge, die die Sicht verstellen. Was wäre aus Dir geworden, wärest Du kein Künstler geworden? Ich wäre nach Südamerika übergesiedelt und hätte reiche Leute per Boot von Insel zu Insel geschippert oder in Bootswerften mein Überleben gesichert, halt ein bisschen wie Magnum. Du hast ja bereits mehrere Jahre in Brasilien gelebt. Was hat Dich dort am meisten geprägt? Die familiäre Herzlichkeit, dass jede*r Reisende erstmal grundsätzlich für ein bis vier Wochen aufgenommen wird, da ist nicht wie bei uns nach drei Tagen der Ofen schon wieder aus. Man lebt dort noch mehr in dem Moment, es existiert eine andere Gelassenheit. Viele Menschen, die ich kennenlernen durfte, hatten ihre Berufung gefunden, an der sie gemach, aber stetig dranblieben, immer weiter rollten wie ein Stein. Und die brasilianische Weltoffenheit prägte mich, abgesehen davon, dass es ein sehr wanderlustiges Völkchen zu sein scheint. Was sind überhaupt Deine ersten Assoziationen, wenn Du «Brasilien» hörst? Leben und essen wie ein König, faszinierende Landschaften und die Hitze. Und von all den Ausstellungsorten, die Du bereits leibhaftig gesehen hast, wäre welcher Dein Wunschort, wo Du gern einmal ausstellen würdest? Auch in Brasilien? In der Tat: Mein Lieblingsort läge in Brasilien, in São Paulo, wo ich zur Biennale 2009 etwas abseits der Paulista Avenue einen Ausstellungsort sah, ein modernes, sehr flaches Glasgebäude, das sich, ohne dass man es sofort sehen konnte, nach hinten uferlos vergrößerte. In der Weitläufigkeit dieser modernen Architektur, in jenen großen Räumen, die mitunter fast leer wirken, selbst wenn etwas ausgestellt wird, würde ich MUNROI sehr gern wie einen Meteor einschlagen lassen. Und wo siehst Du Dich in 10 Jahren? Auf der Atlantikinsel Ilha Grande, 160 km westlich von Rio. Welche Personen und Lehrenden, ob nun in Brasilien, Deutschland oder andernorts, haben Dich entscheidend geprägt? Trainiert haben mich der Brasilianer Andre Gonzaga alias da lata alias die Dose: ein total chilliger und effizienter Graffiti-Artist, der sich nicht ins Rampenlicht drängt und für die hochkarätigsten Graffiti-Events angefragt und gebucht wird, seinen Style als Künstler gefunden hat, den er immer wieder variiert, und der vor allem auch offen ist. Weiter wäre da Norbert W. Hinterberger, weil er immer wieder die Potenziale von jedem Studierenden angesprochen hat und meine utopischen Ideen vorantrieb. René Büttner sowie mein Studiokollege Michal Schmidt, mit denen ich gestalterische Großprojekte realisieren konnte. Lucian Patermann, mit dem ich zahlreiche Graffiti-Projekte umzusetzen die Chance hatte. Naomi Salmon, die einfach superdirekt auf den Punkt kommt, was Künstler*innen oft fehlt, mir natürlich auch. Liz Bachhuber, weil ihr Fokus nicht selten das Thema Reisen war. Beim Englischlehrer in Belfast war es ein Satz: „Schreib gleich am Anfang, worum es geht, wenn es mich vorne nicht packt, lese ich nicht weiter.“ Und es sind die Bibliotheken der Länder, die man bereist, die es zu besuchen lohnt, weil man dort fündig wird. Sie müssen gar nicht so groß sein, nur gut sortiert. Deine künstlerischen Vorbilder? Der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer, der brasilianische Künstler Hélio Oiticica, das avantgardistische Architekturbüro Coop Himmelb(l)au. Literatur, die Dich inspiriert? Die gibt es: Terry Pratchetts Romane, Thomas Hallidays „Kinder der Zeit“, Oswald de Andrades „Anthropophagisches Manifest“, Paul Virilios „Rasender Stillstand“, der Architekturtheorieklassiker „Learning from Las Vegas“, der Medienphilosoph und mein Reiseverwandter Vilém Flusser, der Gartenstadterfinder Ebenezer Howard. In Gesprächen mit Dir fiel immer wieder der Name Martina Löw, eine deutsche Soziologin, und ihrer Raumsoziologie, ihrer Eigenlogik und Re-Figuration der Städte, ihrer Forschungen zu Alltagshandlungen in z.B. digitalen Lebensräumen. Was inspiriert Dich an Martina Löws Sichtweisen? Von Martina Löw habe ich z.B. mitgenommen, dass wir im Kindesalter den Raum zu rastern lernen, somit wird er seiner Mystik beraubt und ist überschaubar, dunkle Ecken wirken nicht mehr so dunkel, sind halt nur „der Raum unterm Tisch“. Ich mache Kunst, um Dingen entgegenzuwirken, indem ich versuche, die reale Welt ins Fantastische hineinzuholen. Du lebst in Erfurt, Deiner Wahlheimatstadt, nicht etwa in Leipzig, Berlin, München oder Köln. Weswegen? Wie würdest Du die Erfurter Kunstszene beschreiben und was sind die Vorzüge Erfurts? Ich bin dem „Diktat der Kunst“ gefolgt, die regelrecht vorschrieb, wo ich landen sollte. Viele Leute kamen aus Berlin oder Leipzig wieder zurück – zu überladen, keine Ruhe zum Arbeiten. Ich habe mir den ganzen Stress erspart, in Erfurt einen Freund und Mentor mit Atelier gefunden und Freunde, mit denen ich in Mitteleuropa Aufträge rocke. Die Erfurter Kunstszene ist nicht inflationär überlaufen, hat biennal eine Kunstmesse und der Ort birgt genügend Ruhe, um Kunst zu machen, nicht nur oberflächlich. Und was ist Weimar für Dich? Ein Utopia, in dem Landschaften gestaltet werden, eine Wiege der Planung. Mit dem CIB.Weimar — Centrum für Intelligentes Bauen — in der Coudraystraße. Wie lange hast Du hier gelebt? Elf Jahre. Was hat Dir der zweijährige Masterstudiengang „Art in Public Space and New Artistic Strategies“ in Weimar – sicher eines der internationalen Aushängeschilder der Bauhaus-Universität – an Kenntnis- und Praxisgewinn gebracht? Würdest Du ihn weiterempfehlen? Zugegebenermaßen hat mich an diesem Programm der Aspekt des Reisens interessiert. Man bekommt einen tieferen Einblick darüber, was es bedeutet, ein international agierender Künstler zu sein, angefangen damit, dass man im Englischen fit sein muss. Irgendwie verschiebt sich aber auch die Wichtigkeit der eigenen Kunst. Mir fiel auf, dass die meisten Künstler*innen eine Art von „Denkmalkunst“ favorisieren, vielleicht weil es zum Studiengang dazugehört, Denkmäler auseinanderzunehmen, zu entsockeln, und das wiederum, weil Abbildungen davon über die Ländergrenzen hinaus ihre Wirkung nicht verfehlen. Für die Vertiefung meiner Kunstproduktion waren die „new artistic strategies“ wichtig. Meine neue Strategie war dabei der Entwurf meiner utopischen Stadt, weil mein Eindruck war, dass sich zwar zahlreiche Literaten bereits mit Utopien befasst hatten, aber nur wenige bildende Künstler*innen. Den Studiengang weiterempfehlen? Unbedingt! Wir bleiben in Weimar: Wenn Du an Umbau und Renovierung des Goethe-Nationalmuseums beteiligt wärest, wo würdest Du bei diesem Heiligtum deutscher Klassik ansetzen, um etwas zu verändern? Und dieselbe Frage auch zum ehemaligen Gauforum, jenem steingewordenen Zeugnis des Nationalsozialismus? Das Gauforum würde ich bis aufs Fundament abreißen und eine Uferarchitektur draufsetzen, den Platz so karg wie nur möglich lassen, Hinweistafeln zur NS-Zeit und obendrauf eine Gesellschaft darstellen, die darüber hinausgewachsen ist. Beim Goethehaus wäre es zu einfach zu sagen „abreißen“, eher würde ich ein Stück vom Dach abtragen, dort ein UFO draufsetzen und Goethes beste und amüsanteste Sprüche hochleben lassen. Kommen wir also zu Deiner utopischen Stadt: Was gab den Ausschlag zur Idee MUNROI? Eine Strategie zur Kunsterzeugung zu erfinden, eine Stadt, aus der ich Kunst generiere. Welche andere utopische Stadt fällt Dir zuerst ein? „Schöne neue Welt“ („Brave New World“) aus dem utopischen Roman von Aldous Huxley. Der Hawaii-Sichelkleidervogel Hemignathus muroi aus der Familie der Finken, dessen Name Dich zur Namensgebung Deiner Stadt inspirierte, gilt als stark gefährdet, weil Stechmücken, Ratten und Katzen ihm das Leben schwermachen. Er lebt lediglich in den Vulkanlagen Hawaiis – 1.200 Exemplare auf gerade mal 150 Quadratkilometern. Benannt wurde er nach dem Ornithologen George Campbell Munro. Kamst Du auf ihn, weil Dein Familienname Fink ist oder hast Du einen Bezug zu jenem US-amerikanisch-neuseeländischen Wissenschaftler? Ich habe keinen Bezug zu jenem Ornithologen. Der Name aus meiner Vogelfinkenfamilie war treffend, weil in MUNROI das Wort Niterói steckt, das ist eine Nachbarstadt von Rio. Auch Marilyn Monroe und Siegfried und Roy, die beiden Zauberer, standen Pate. Grundsätzlich wurde die utopische Stadt erfunden, um das Überleben des Vogels zu sichern, denn wenn wir im utopischen Sinne eine Stadt zu errichten schaffen, in der eine fragile Spezies überleben kann, dann würden wir auch als Menschheit überleben. Was hält Dich eigentlich seit 2006 in diesem Lebensprojekt? Die Vielfalt des urbanen Raums und des Planeten mit seinen wachsenden Städten. Welche künstlerische Entwicklung hast Du über MUNROI erfahren? Vom Street-Art-Künstler zum Videokünstler und zurück Richtung Druck und Malerei. Welches Material bildete dabei den Ursprung Deiner künstlerischen Beschäftigung mit MUNROI? Ich gehe da wie ein Street-Art-Künstler vor: Das gerade vor Ort verfügbare Material wird zur Kunsterzeugung verwendet. Hat MUNROI Grundfarben? Pinkrot und Türkisblau. In welcher Zeit spielt MUNROI? Beginnend in der Moderne ab 1920 über 1989 bis in die sehr nahe Zukunft. Hat die Stadt schon Geschichte? Es gibt Ursprünge: Der Einzug der Moderne, der Minimal und der Street Art. Wie hast Du die oft portugiesisch klingenden Namen der Stadtteile und Backlands MUNROIS gefunden? Entsprechend der Eigenschaften der Gebiete suche ich in der Sperlingsfamilie nach passenden Namen. Menschen tauchen wenige auf in MUNROI. Warum? Der Mensch verschmilzt oft mit der Landschaft, weil er als Maßstab dient oder auch nur als kleine Einheit in der großen Welt. Ich bin mehr auf die Bühne fixiert als auf den Menschen, der unberechenbar ist, während die Architektur alles bedingungslos hinnimmt, der Mensch soll staunend vor der Sache stehen. Hmm, staunend vor der Sache stehen: Was war für Dich neu bei der Erarbeitung dieser MUNROI-Show im ACC? Dank der Galeriebetreiber*innen waren es die Dramaturgie der Raumfolgen, der Versatz von Räumen, der Umgang mit Blickachsen, wie bringt man die Identität einer ganzen Stadt ins Labyrinth von 15 Räumen … Welchen Stellenwert haben für Dich Kooperationen? Sie klappen am besten mit Sound- und Performancekünstler*innen. Ich baue die Bühne. Die Sounds der Show kommen also nicht von Dir? Richtig. Da hatten FluxReflektor und Philipp Wartenberg freie Bahn. Sie agierten einfach, ich hatte nur wenig anzumerken. Apropos Zusammenarbeit: Nun hat ja MUNROI auch eine Art Stadtschreiberin. Was wären weitere in Angriff zu nehmende Dimensionen und Herausforderungen? Die Autorin Isobel Markus begann damit, MUNROI mit Menschen und Geschichten zu füllen, ihre neuen Geschichten sollten sich nun um die Backlands drehen, den Run auf die Ressourcen. Ich reagiere darauf mit meiner Kunst. Und mit Glück wird ihr Roman zum Spielfilm. Dabei ist das Künstlerviertel Bairro do Carmesim immer wieder Dreh- und Angelpunkt, ein alternatives Zentrum zum Regierungsviertel. Hier ist die Rede von politisch-kritischen Auseinandersetzungen und Protesten. Wofür protestieren die Leute? Für Meinungsfreiheit und das Recht auf selbständige Stadtgestaltung. Hier hat das Individuelle die Oberhand, scheint alles aus den Fugen zu geraten. Steckt hinter MUNROI also auch eine Kapitalismuskritik? Wie leben die Menschen in MUNROI? Gibt es Freiheit, Demokratie, Wahlen? Sowohl Kritik, als auch sich irgendwie mit dem Kapitalismus zu arrangieren. Dabei ist MUNROI nicht per se kritisch, es ist Abbild, Bestandsaufnahme, Aufzählung von Dingen, die in der Realität auch stattfinden könnten, nimmt wie Architektur erst einmal nur auf. MUNROI ist dabei, eine eigene Philosophie zu entwickeln und sie zu leben. Grundanliegen ist es, in den Flow zu geraten und somit staatsnützliche, aber auch lebensnützliche Jobs zu finden. Ist MUNROI demnach ein politischer Handlungsraum? Nicht grundsätzlich. Durch die Vorhandenheit der Menschen zwingt sich der Gedanke zwar auf, doch geht es eher um Landschaft, Stadt und Erscheinungsbild. Was hat es mit dem als 014-SMK bezeichneten Jetstream Man auf sich, einer Art fliegendem Beobachter oder Überwacher, der sich der Schwerkraft trotzend in seinem Kokon wie auf einem Jetstreamwind bewegt? In dem Falle eine Sie und 013-JD sowie 012-OOHR sind die ersten drei realen Bewohner MUNROIs, arbeitende Units, Performancekünstler*innen. Ihre Nummer bezieht sich auf das jeweilige Jahr ihrer Aufnahme in MUNROI. Die Buchstabenkombination wiederum leitet sich vom echten oder Künstlernamen her. 014-SMK soll sich wie in einem Windstrom bewegen, mein erster Versuch, mich mit der Aufhebung der Schwerkraft zu befassen. Gibt es in MUNROI noch andere feste Charaktere, die eine bestimmte Funktion haben und immer wieder auftauchen? Die gibt es: Marta Marine, eine Macherin, ehrgeizig, erfolgreich, immer auf der Spur zur nächsten Geschichte, attraktiv, sehr schlank, trinkt zu viel, fühlt sich abends einsam, wenn sie es zulässt, lässt aber grundsätzlich selten etwas zu oder geschehen, denn sie ist bemüht, alles unter Kontrolle zu haben. Sie kommt nicht aus MUNROI. Sergio Estrada, der Abenteurer, der das Leben liebt, MUNROI wie seine Westentasche kennt, von einem Stadtviertel zum nächsten zieht und ein Auge auf Marta geworfen hat. Edward Munigan, ein berühmter Regierungsbeamter. Siobhan Munigan, sie stammt aus Envergadura, lebt in der Zukunft in Beal Feirste und ist Eventveranstalterin für zeitgewinnende Konzerte. Alvaro, Straßenkünstler, Akkordeonspieler im natürlichen Flow, aus Barrio de Carmesim. Verliebt sich in Siobhan und ist maßgeblich an der MURMUSIC-Idee beteiligt. Und dann eben der Mann oder die Frau im Jetstream. Wie sieht es mit der Dualität, z.B. jener zwischen Stadt und Land, in MUNROI aus? Das Backland ernährt die Stadt, doch sehe ich weniger Dualitäten, als eher Auswirkungen, wenn z.B. Riesenabraumhalden von ungenutzten Salzen irgendwie in der Natur abgelagert werden müssen. Das knüpft an meine nächste Frage an: In einem Deiner Kataloge findet sich folgendes Zitat von Dir: „So schrecklich der Scheiß mit dem Müll ist, die Situation muss Potenzial haben.“ Bist Du ein Zweckoptimist? Vielleicht ist es nicht verkehrt, Zweckoptimist zu sein, aus allem das Beste zu machen oder es so umzukehren, dass es schon wieder gut ist. Was die Umweltproblematik betrifft, möchte ich, anstelle wegzuschauen, die Leute dazu bewegen, Gefallen an dieser Herausforderung zu finden, sich nicht abschrecken zu lassen, um somit positive, umweltverträgliche Veränderungen herbeizuführen. Müll ist Material am falschen Ort, wenn zu viel davon da ist, wird die grüne Natur darunter erstickt. Spielt Kritik an unserem Umgang mit der Umwelt demzufolge in MUNROI eine größere Rolle? Eher eine Aufzeichnung davon, wie unsere Umwelt zurzeit aussieht und dementsprechend belastet wird. In dem Ausstellungsteil, den Du Garbage Patch, also Müll-Flicken, nennst, kann man in einer Zeitung vom 10. Mai 2034 nachlesen, dass nach wochenlangem Suchen eine vermisste Schulklasse vor der bretonischen Küste tot im Meer treibend aufgefunden wurde und dass bei den Opfern Verätzungen der Haut und toxische Substanzen in Atemwegen und Blutbahnen festgestellt wurden, was wohl zu den dystopisch-kritischsten Parts Deiner Schau gehören dürfte. Wie würdest Du Dein Engagement für Umwelt- und Klimaschutz beschreiben? Ich versuche, meinen Beitrag zum Umweltschutz über das Bildnerische zu leisten, Dinge abzubilden, die, wenn wir so weitermachen, auf dem Spiel stehen. Zeigen möchte ich, dass Architektur und Natur zusammengedacht werden sollen. Abgesehen davon fahre ich mit dem Rad, so oft es geht, vermeide Plastiktüten und eingeschweißtes Obst im Supermarkt, kaufe Second-Hand-Klamotten, die ich umnähe und lange trage. Ich versuche einfach, meinen ökologischen Fußabdruck so niedrig wie möglich zu halten. Wo finden wir in MUNROI weitere dystopische Aspekte? Auf den Müllinseln, die in unseren Weltmeeren treiben und hier urbane Minen darstellen. Auf einem großen, bläulichen Gemälde in der Ausstellung geht es ebenfalls um diesen menschgemachten Müll auf den Weltmeeren. Die prozentuale Farbverteilung auf dem Bild entspricht einer Statistik, die besagt, aus welchen Stoffen dieser Müll besteht. Könntest Du das bitte kurz erläutern? Es handelt sich um eine meiner neueren Herangehensweisen, denn es ist mein erstes Bild, was aus einer statistischen Erhebung hervorgeht. Ich finde Statistiken interessant, weil sie Verhältnismäßigkeiten und deren teilweise exorbitante Auswüchse aufzeigen. Die nächste Verhältnismäßigkeit, die ich darstellen möchte, das sind die jeweils vom Menschen verbrauchten Ressourcen als Pflanzenfresser gegenüber denen als Tierfresser – das könnte spannend werden. Warum sind 70% von MUNROI schiefgestellt, die Unterschlüpfe bieten keinen Halt? Gibt es eine Horizontale in MUNROI? Ich möchte keine langweiligen Architekturmodelle zur Schau stellen, sondern Architekturskulpturen, alles soll spannend im Raum stehen. Es gibt sogar ein Stadtviertel, in dem sich die Schwerkraft regelrecht von Meter zu Meter ändern kann. In der Ausstellung befinden sich auch Architekturmodelle, die nicht von Dir sind, sondern im Prinzip Abfall, Ausgemustertes, Weggeworfenes, Abgelehntes von Anderen. Warum fand das seinen Platz in Deiner Ausstellung? Diese eigentlich weggeworfenen Modelle sind oftmals eine Art Architekturskizze. Sie versprechen eine Maßstäblichkeit und Aussage darüber, wo Architektur hinführen kann, und sind nun als Fragmente derart in meine Kunst integriert oder mit von mir angefügten skulpturalen Strukturen versehen, dass nicht mehr erkennbar ist, wo ein echtes Architekturmodell aufhört und mein skulptural-architektonisches Anhängsel losgeht. Diese Verschmelzungen und Schnittstellen, an denen sich echte Architektur oder Skulptur herausschälen, sind der reizvolle Konflikt dabei. Gibt es in MUNROI ein Museum oder Kunst überhaupt, gibt es Kultur, Ateliers, gibt es Kirchen und Religion, gibt es ein Verständnis für die Natur? Tatsächlich gibt es ein Gebäude für Klang und Kunst, beide sind in einem Haus vereint, oben lichtdurchflutet die Kunst mit Nordlicht und unten gibt es einen riesigen Klangkörper. Religion gibt es natürlich auch, denn, mein Gott, es ist eine utopische Stadt, es gibt auch ein Viertel, in dem die Religionen mehr oder weniger friedlich nebeneinander leben, aber das ist im von Aufständen durchzogenen Quartier. Grundsätzlich gibt es in MUNROI eine Lebensphilosophie, die für den Frieden sorgt. Im MUNROI-Manifest Punkt 5 steht: Der einzig wirklich zu sichernde Schatz sei die Natur, eingebettet in den künstlich kultivierten Planeten – das sagt Einiges über unsere Zeit der Beschleunigung aus. Und es gibt noch ein anderes Motto: Die Aussage „Der Kampf um Obdach und Nahrung ist universell“ ist ja ein durchaus gegenwartsbezogenes Statement, sozusagen eine Botschaft MUNROIS in der Ausstellung. Warum gerade dieser Slogan? Ich denke, alle Menschen könnten sich unter diesem Satz versammeln, hier sind sie sich mal einig, was selten genug passiert. Durch eine Zeilenlücke könnten sogar noch zwei Worte eingefügt werden, vielleicht „Love & Prosperity“? Ich möchte zeigen, worauf es im Leben wirklich ankommt, nicht Schickimicki und dicker Max, sondern ganz einfach jemandem etwas zu essen anzubieten oder für ein bis zwei Nächte ein Dach über dem Kopf zu geben – ohne solche Leute wären z.B. Cycler, also Menschen, die mit dem Fahrrad die Kontinente durchqueren, gar nicht möglich. Welchen heute in Deutschland existierenden Parteien ließe sich die Regierung MUNROIs am ehesten zuordnen? Der Initiative Mehrwertstadt Erfurt, auch weil Anna Allstädt dazugehört, eine junge Frau, die so Einiges kulturell bewegt und aus einer e.V.-Enklave, dem „Klanggerüst“, heraus operiert hat, was die Stadt und mich video-eventmäßig voranbrachte. Man hat den Eindruck, dass das Finksche Utopia, Deine ideale Megalopolis namens MUNROI, auch vieles offenlässt, es geht nicht um Vollkommenheit, Ganzheit, Vollständigkeit, es gibt Leerstellen, Lücken, die die Betrachtenden selbst zu füllen, auszuweiten, zu vervollkommnen eingeladen sind. Ist das so? Was versprichst Du Dir von den Rezipient*innen Deiner Kunst? Hast Du einen Wunsch, mit welchem Eindruck sie aus der Ausstellung gehen sollen? Zunächst geht es ums Staunen, wenn man vor einer Architektur oder Architekturruine steht. Man kann von den Pyramiden nicht ablesen, wozu sie wirklich einmal dienten, genauso wie es andere Zivilisationsorte im Dschungel gibt, die von Pflanzen überwuchert sind, weswegen man sich wie ein Archäologe alles selbst erschließen muss, und das gleicht dem Abenteuer, was man in den urbanen Raum trägt oder ins Backland, wo ich immer wieder Dinge sehe, denen ich ratlos gegenüberstehe, z.B. ein solches Garbage-Patch-Objekt, das ich als neue Insel deklariert habe. Man soll selbst forschen, vielleicht urbane Minen finden, wenn es um eine Stadt geht, also den urbanen Raum als Ressourcenlager sehen und mal nicht die Backlands. In der Ausstellung befindet sich eine digitale Fotocollage, die den slowenisch-argentinischen Glaziologen Pedro Skvarca abbildet, der wesentlich zum heutigen Wissen über das Südliche Patagonische Eisfeld, dem drittgrößten Eisfeld der Erde nach der Antarktis und Grönland, und zu den Gletschern der Antarktis beitrug. Wie bist Du auf ihn gekommen und warum hast Du gerade ihn abgebildet? 2018 wurde Michal Schmidt von seinem besten Freund eingeladen, in El Calafate im Glaciarium Centro de Interpretación in der argentinischen Provinz Santa Cruz auszustellen. Wir waren frisch als Künstler- und Atelierkollegen zusammengekommen und so nahm er mich mit. Der seit 1998 in Südamerika lebende Extrem-Guide Steffen Welsch, der oft mit Wissenschaftler*innen zusammenarbeitet und so an die extremsten Orte kommt, rührte das Ganze ein, und er kannte Pedro, einen der Mitbegründer des Gletschermuseums, mit dem wir dann das Glück hatten, den Perito-Moreno-Gletscher, den größten der südamerikanischen Anden im Südwesten Argentiniens, zu besuchen. Früh um vier ging es los, damit wir auch die ersten am Gletscher sein und keine störenden Geräusche den Klang des Gletschers irritieren würden. Du bist also selbst in Patagonien unterwegs gewesen, ich glaube, Du nanntest das Deine Eis-Feuer-Land-Tour. Was war Dein beeindruckendstes Erlebnis da unten? Zum einen ebenjener wachsende Perito-Moreno-Gletscher, den ich hören konnte, der ist wie eine riesige Gletschermaschine, man hört Wasser tröpfeln, manchmal klingt es, als würde etwas einstürzen, dann wieder wie ein Klappern, der Gletscher bewegt sich zwei Meter pro Tag voran. Zum anderen die surreal wirkende, von Lava geprägte und vom Eis geschliffene marsähnliche Landschaft des Upsala-Gletschers bzw. seiner Hinterlassenschaft, denn der Upsala-Gletscher ist für seinen raschen Rückgang bekannt, den Greenpeace als Beweis für die globale Erwärmung und Trinkwasserressource anführt. Durch Erosion wird auch Prähistorisches freigelegt, versteinerte Muscheln in Streifenflächen waren da zu sehen und das ein paar Tausend Meter über dem Meeresspiegel. Hast Du den Film „Der Marsianer“ mit Matt Damon gesehen, in dem es um den NASA-Astronauten Mark Watney geht, der fälschlicherweise auf dem Mars zurückgelassen wird? Ich habe vom Film gehört, ihn aber nicht gesehen. Ich habe aber einen anderen Film gesehen, in dem einer unbedingt zum Mars wollte und unklar blieb, ob er nach seiner Ankunft auf dem Roten Planeten wegen Treibstoffmangels wieder auf die Erde würde zurückkommen können. Dieses Ziel, diese Verbissenheit, mit der man bis zum Tod seinen Traum, seine Idee verfolgt, kann ich nachvollziehen. Die Digitalcollage „Der neue Mensch, featuring Anna Lysenko (made in munroi)“, offenbar eine russische Pianistin und Künstlerin, die in Weimar studierte, erinnert an Bauhaussche Manifeste. Könntest Du etwas zur Entstehung dieser Arbeit sagen, was war Deine Intention – etwa der Prototyp einer MUNROI-Bewohnerin? Der neue Mensch ist vielleicht der reisende Mensch. Mit der Kernspaltung sollten uns laut Otto Hahn, dem „Vater der Kernchemie“, gewaltige Energien zur Verfügung stehen, sodass das extraterrestrische Leben zum Greifen nahe sein würde, wenn man ins Weltall vorstößt. In diese Richtung geht meine Überlegung: Wie sehen MUNROIs Bewohner*innen aus? Haben sie vielleicht sogar Superkräfte oder -fähigkeiten oder, um mit Beuys zu sprechen, wenn es so ist, dass jeder ein Künstler sei, aber nur für fünfzehn Minuten, wenn z.B. der Bäcker das Brot genau zum richtigen Zeitpunkt aus dem Ofen holt, zack, und das so seine helle Stunde ist, die später schon wieder am Abklingen ist, über welche Fähigkeiten verfügen dann die MUNROIer*innen? Die Frage ist also, womit kann der neue Mensch dieser Neuzeit ausgestattet sein? Tja, ich denke, es gibt den einen neuen Menschen und das ist der reisende Mensch. Die Weimarer Museumsnacht und die ACC-Silent-Party brachten andere Formate als das der Eröffnungsveranstaltung in Deine Show, was ja auch die Aufgabe einer ausstellenden Institution ist, immer wieder neues Publikum an Land zu ziehen: Konnte das gelingen? Wie hast Du die Atmosphäre zu beiden Veranstaltungen empfunden? Haben sie etwas gebracht oder muss man so etwas nicht wiederholen? An der Museumsnacht würde ich in jedem Falle dranbleiben: Der Künstler ist gezwungen, über seine eigenen Intentionen hinauszudenken, spontan zu handeln, und dann zeigt sich, was von ihm überhaupt noch übrig bleibt oder welche seiner Wesenszüge nochmal maximiert werden: Ich war voll der Angestellte meiner eigenen Stadt, eine super Erfahrung, ich hätte noch etwas mehr an den bastelnden und bauenden Leuten dran sein und ihnen über die Schulter gucken können, aber mein Fertigungsauftrag der Digitalcollagenkompositionen nahm etwas überhand, sodass dafür keine Zeit war, aber trotzdem: eine sehr gute Erfahrung. Während der Silent Party war mein Eindruck, dass man die Soundqualität der Kopfhörer auf keinem Festival so geboten bekommt. Mit diesem Klangerlebnis und bei anderer Beleuchtung durch die Ausstellung zu wandeln oder mit jungen Leuten, die abgehen, vor den MUNROI-Erscheinungsbildern zu tanzen oder ins Gespräch zu kommen, da bin ich absolut Fan von. Ich überlege tatsächlich, dass man noch eine zweite Silent Party im Juli, kurz vorm Ausstellungsabbau, veranstalten sollte. Oder ich lege Kopfhörer aus, auf denen der Sound of MUNROI zu hören ist und schaue, welche DJs vielleicht noch Sounds haben, die man abspielen kann. Ein Hard-Tech-Channel und ein Lovely-Funk-Channel wären die ersten beiden Sounds, die mir einfielen. Behaltet die Silent Partys bei und denkt euch noch schwierigere Sachen für die Künstler*innen aus, denn besser geht’s nicht. Wenn wir uns vom realen ins virtuelle Umfeld bewegen: Spielt die KI, ein gerade in der Kunst immer stärker in den Vordergrund rückendes Thema, auch bei Dir eine Rolle? Bisher nur bei der Anfertigung von Skizzen. Künftig möchte ich sie stärker einbeziehen, sie gehört einfach zu einer utopischen Stadt, die MUNROI-Romanautorin Isobel Markus könnte die KI mit Material anfüttern und trainieren, welche dann die Geschichte weiterschreibt. Beim MUNROI-Film wüsste ich nicht, wie ich manche Szenen ohne KI abwickeln sollte. Noch ist die Technik nicht soweit, aber in zwei Jahren schon könnten sehr komplexe Szenen, die mir im Kopf herumschwirren, von KI realisiert werden. Am oft gehörten „In bin kreativ und brauche keine KI“ ist auch was dran, halten wir also fest „KI ist super, aber auch nicht ganz so super.“ Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Deine Beschäftigung mit MUNROI einer Obsession gleicht. Hast Du keine Angst, dass Du von dieser Besessenheit mit diesem fiktiven Ort Dein Leben lang nicht mehr loskommst, quasi gar keine anderen künstlerischen Wege mehr einschlagen kannst? Von MUNROI wegzukommen, kann ich mir kaum vorstellen, eher schon, dass ich das ganze Paket MUNROI so baue, dass ich es einfach verkaufen kann und ich dann endlich wieder Martin Fink bin, bloß wer ist das dann noch? Eigentlich ist die utopische Stadt viel zu groß, um nicht weitere künstlerische Wege zu finden und zu beschreiten, und es ist ja auch nicht von Nachteil, wenn man als Künstler eine eigene Strategie hat, nur so bleibt man in den Köpfen drin, die Maler hatten ihre verschiedenen Stile, dann kam Duchamp mit den Konzepten, was kommt da jetzt noch? Noch ein selbstkritischer Blick auf MUNROI: Was fehlt, lief schief, wo bist Du nicht weitergekommen, gescheitert? Ich bin nur privat gescheitert, mit MUNROI aber noch nie. Und was ist Dein Wunsch für MUNROI in 20 Jahren? Eine gewisse Selbständigkeit der Stadt, ein Spielfilm, zunächst als Serie, der auf Isobel Markus’ Roman basiert, und dass wir alle von MUNROIS Merchandisingprodukten leben können. Kommen wir zu einem anderen Thema – dem schnöden Mammon: Wenn Du gerade mal kein Landesarbeitsstipendium erhältst, was ja in den meisten Jahren der Fall ist, musst Du ja Deine Fähigkeiten und Fertigkeiten auf dem freien Markt feilbieten, Dich verdingen. Könntest Du das an drei Beispielen erläutern? Richtig, neben meiner Kunstproduktion gehe ich quasi „künstlerisch anschaffen“, versuche, meist im Team, das bestmögliche Ergebnis für den jeweiligen Auftraggeber herauszuholen, das hat viel mehr mit Gestaltung als mit „meiner Kunst“ zu tun, die ich damit aber gleichfalls vorantreibe, indem ich z.B. neue Techniken und Methoden erlerne. Was mich darüber hinaus am Leben hält und sogar Spaß macht, ist das Setzen von Katalogen und Büchern, Bildbearbeitung, Text und Bild zusammenbringen, typografisches Arbeiten. Mein drittes Standbein sind Workshops für Kids. Jeder, der mal im Ausland Workshops gegeben hat, weiß um deren Wichtigkeit, weil jeder Funke Bildung neue Perspektiven für junge Heranwachsende eröffnet. Hier in Deutschland sind wir verwöhnt durch die Schulpflicht – die gibt’s zwar in anderen Ländern auch, nur sind da mitunter vierzig bis fünfzig Kinder in einer Klasse und es ist nicht immer gegeben, dass unter diesen Umständen überhaupt etwas gelehrt bzw. gelernt wird. Das Wichtigste ist, dass diese jungen Menschen die vielen Möglichkeiten sehen, die es in unserer Welt gibt – ich genieße das Privileg, das mir das gegeben ward, also versuche ich das weiterzugeben. Welcher war dabei Dein schönster Auftrag, der am meisten Spaß gemacht hat? Es gab zwei: Einmal in Polen, wo wir im Team für zwei Monate auf der Baustelle für eine sehr große Therme in der Nähe Warschaus von gefühlt einer Milliarde Blätter aus dem Dschungel über Felsenlandschaften bis hin zu Erlebniswelten in einem Rutschenturm alles gemalt haben – meine bislang schwierigste Baustelle. Der andere Auftrag erwartete uns in Puy du Fou, einem historischen Themenpark im westfranzösischen Les Epesses, einer Art Disneyland zur französischen Geschichte. Die ganze Baustelle war voller Schlamm, weil wir zur winterlichen Revisionszeit dort waren. Nur wenn man eins wurde mit all dem Matsch, war es erträglich. Wir mussten die filigransten Sachen malen und trotzdem immer durch Schlamm und Kälte stapfen, ein hartes Training, das mich nun vor großen Projekten nicht mehr zurückschrecken lässt. Oft sind es die härtesten Aufträge, die einen weiterbringen, vielleicht sogar generell im Leben, man muss wie bei einem Zaubertrick erstmal eine Menge üben, um die Hürden zu nehmen, doch plötzlich gehen die Dinge viel leichter von der Hand, weil man sie ja trainiert hat. Die u.a. nach Dir im ACC ausstellenden The Yes Men und ihre aktivistischen Identitätskorrekturen, sagen die Dir etwas? Klar, das sind geniale Konzeptkünstler. Speziell an ihnen ist, wie sie sich als Politiker oder Konzernsprecher ausgeben und den Leuten sozusagen stellvertretend Versprechungen machen, die eigentlich die echten Firmen machen sollten. Supergenial, wie sie quasi Staatsaufgaben übernehmen, ungeklärte, aber unter den Tisch gekehrte Sachverhalte zur „Wiedervorlage“ bringen und mittels ihrer Aktionen Leute mobilisieren. Sie schauen nicht weg, sondern unternehmen etwas, wahrhaft politische Kunst als zivilisatorische Kraft im öffentlichen Raum. Was ist Dein Motto? Und was sind Deine persönlichen Stärken? Meine Lebensmaxime? Als einer jener Menschen, die im Jahre des Schweins geboren sind, möchte ich selber satt sein und dass jeder um mich herum auch satt ist, deswegen also Kochen für eine ganze Bande und dann gemütlich essen und leicht fachsimpeln. Gern würde ich den Raum gestalten, wo das stattfinden kann, in dem man zur Ruhe und zu sich selbst kommt und auf das wahre Wesen des Menschen stößt – das aber ist mit Vorsicht zu genießen, denn, wenn ich es genau überdenke, möchte ich über des Menschen wahres Wesen gar nicht so viel in Erfahrung bringen, sondern eher über das Triviale im Menschen. Und seine utopischen Ideen und Fiktionen sollen an einem solchen philosophischen Abend herausgekitzelt werden. Wenn das Budget keine Rolle spielen würde: Was würdest Du gern machen? Ich würde mich erst einmal ein Jahr lang aus der Produktion raushalten, vielleicht den Jakobsweg abwandern oder einen anderen Weg, dann aber in Lateinamerika. Für dieses Vorhaben würde ich auf der Wanderroute eine Miniarchitektur bauen, eine Kleinstunterkunft für zwei Personen mit Feuerstelle und Dach überm Kopf, aus einer Art Felsmonolith. Ich hatte da mal ein kleines Modell aus dem Müll gefischt, das würde ich gern modifizieren. Natürlich würde ich danach sofort meinen MUNROI-Film drehen, würde dafür exorbitante Bühnenbilder schaffen und zum Schluss das ganze Equipment verkaufen. Den Schauspieler*innen und Soundartist*innen und all den anderen Beteiligten würde ich ordentliche Honorare zahlen. Und wen würdest Du zur Bereicherung Deines künstlerischen Weges und Wissens noch gern persönlich kennenlernen, wer sind Deine Heldinnen und Helden? Obwohl ich Riesenfan des Wegbereiters der modernen brasilianischen Architektur Oscar Niemeyer bin, möchte ich den Brasilia-Architekten nicht kennenlernen oder wiederbeleben – er ist ja 2012 verstorben – weil sein mediales Bild in meinem Kopf die Realität wahrscheinlich überträfe. Wem ich aber auf jeden Fall gern begegnen würde, das wären alle drei Partner des Architekturbüros Coop Himmelb(l)au, Wolf D. Prix, Harald Krieger und Karolin Schmidbaur. Und welche Rolle spielt Deine Familie für Deine Kunstkarriere? Meine Mom ist, als ich in der dritten Klasse war, mit einem meiner Gemälde, auf dem ein Blumenstrauß abgebildet war, der sehr an van Gogh erinnerte, spontan in die Schule gerannt, weil es ihres Erachtens eine schlechte Note dafür gab. Da dachte ich mir, wenn jemand für die Kunst derart auf die Barrikaden geht, dann muss das mein Leben bestimmen. Mein Bruder ist eher der Mathematiker, alles muss ordentlich ausgeführt werden. Mein Vater hat uns nach Brasilien gebracht, wo ich vier Jahre lebte, und hatte die Ruhe weg—nun, das heißt dann eben, in der Ruhe liegt die Kraft.

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