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Ausstellungen

orientale 1 - Recherchen Expeditionen Handlungsreisen

Ausstellung So., 15.07.2001–So., 02.09.2001

Lesedauer etwa 3:32 Minuten

Nicolai Angelov (BG / DE) / Hermann Burchardt (DE) / Ayşe Erkmen (TR) / Enrique Fontanilles, Tadeus Pfeifer (CH) / Gunda Förster (DE) / Rainer Ganahl (AT) / Norbert W. Hinterberger (AT) / Candida Höfer (DE) / Donatella Landi (IT) / Susanne Lorenz, Sven Kalden (DE) / Manfred Pernice (DE) / Friedrich Spuhler (DE) / Beate Terfloth (DE) / Rirkrit Tiravanija (TH / US) / Young Hay (HK)

Kurator: Peter Herbstreuth (Berlin)

Nicolai Angelov wollte einfach anderswohin, weit weg, dahin, wo er die Welt nicht anders denn als fremd wahrnahm. Ziellos sein. Indien wurde zum Ort der Initiation. Er sah sich in der Welt und die Welt in sich als Anderes. Und was er fortan fotografierte, verlor den Ort und stand im Irgendwo. Landschaft mit Lebensspuren, ohne Titel (Der verschwundene Teppichhändler) (2001) und ohne Menschen. Keine Exotik. Er entzog den Orten die Namen und damit die Bestimmbarkeit: fremde Welt überall. Hermann Burchardt (1857 – 1909) war Unterwegs am Golf. Warum der erste visuelle Chronist des persisch-arabischen Golfs von 1893 an 17 Jahre bis zu seinem Tod mit der Plattenkamera notorisch durch den Orient reiste und vom Alltag, dem Immerwieder und nicht dem Exotischen «ein Bild abnahm» – es gab weder genaue Landkarten noch Reiseführer – lässt sich nicht klären. Ayse Erkmen drehte Emre & Dario (1999 – 2001) mit ihrem Sohn Emre. Der junge Mann tanzte in einem weißen Raum zum fast zeitlosen Lied Istanbul – Constantinopolis von Dario Moreno. Ihren Sohn tanzen zu sehen und das Lied waren Teil von Ayse Erkmens Geschichte in Istanbul. Doch nichts deutete sichtbar auf die Gegenwart dieser Stadt. Sie überließ es dem Lied in französischer Sprache, alles zu sagen: eine Evokation. In ein Wechselbad der Sinne zwischen Hitze und Kälte, Dunkelheit und gleißendem Licht, Stille und Tonfrequenzen von 12.000 Hz ließ Gunda Förster – nach ihrer Wüstenerfahrung in Ägypten – diejenigen tauchen, die ihre Lichtinstallation Inside Out (2001) durchliefen. Norbert W. Hinterberger brachte object art mit concept art in eine ironisch irritierende Verbindung. In Wohlgerüche des Orients (2001) ersetzte er – in den Galerietoiletten – Sitzklosetts durch Hock-WCs und platzierte das ABC der Parfümnamen (Arabie, Byzance, Cashmere …) und die Parfümdüfte «Opium» und «Opium pour homme» auf den Türen. Candida Höfer hatte nie solche Farbwellen in Rot, in Gelb und in Grau gefasst wie in Tempel Peking, Restaurant Moskau Peking, Shou Du Bo Wu Guan Bibliothek (Capital Library) Peking (alle 1996) und Markt Peking (1998). Zwei Nomadenteppiche der Tekke-Turkmenen (1860 – 80) schmückten das Vorzimmer zu Donatella Landis Straßenfilm Vice Versa (1998 – 2001). Auf zwei Projektionen feierte sie einen Farbrausch, überließ sich der Dichte, dem Strom, der Melodie der Straßen von Benares, einem der zentralen Umschlagplätze Indiens für Textilien. Enrique Fontanilles und Tadeus Pfeifer filmten am gleichen Ort, wo die Wirklichkeit jede Illusion übertrifft, in 100 Years and Ten Minutes (1995) in einer Zehnminutenkamerabootsfahrt vom Ganges aus die lichte Ruhe zwischen Fluss und Ufer – in Nebeldunst getauchte Paläste und Pavillons, amorphe Barken mit großen Segeln, unendliche Treppen, die zum Bad ans Ufer hinab stiegen, wo Konturen von Menschen beim rituellen Bad verschwammen. In 100 Jahren Kino wurde der Film zur größten Illusionsfabrik der Menschheit – mit Indien als Spitzenproduzent. Susanne Lorenz / Sven Kalden signalisierten bereits im Titel Burgfrieden (2001) das Hybride ihrer Außeninstallation – eine Verschränkung von Wehrturm und (Dach-)Garten, militärischer Anlage und friedvoller Enklave, wie man sie je einzeln in Japan wiedererkennen kann, nie aber in dieser Kombination. Das Gebilde erzeugte den Anschein eines nur in der Vorstellung existierenden Japans, nahm durch den Standort Bezüge zum Schloss auf und verhinderte durch seinen metaphorischen Charakter (Krieg und Frieden) die Stillstellung der Bedeutung. Manfred Pernice ließ sich von der Plötzlichkeit, mit der ein Zug in der Wüste auftauchte, zu seinem ersten Kurzfilm Durchzug (2001), einer minimalen Blickbewegung hoher gestischer Dichte, animieren: ein konzentriertes, zeitvergessenes Schauen von etwas, das vorüberzieht. Und Kunsthändler Friedrich Spuhler erzählte, er könne nicht anders als in die Knie gehen, wenn ihn Schönes treffe – seine Schatzkammer war mit Kalligrafien, Kelimfragmenten, Marmorbrunnen, Moscheefliesen, einem Sultanserlass von Murad V. (1876), einer Derwisch-Mütze (18. Jh.) aus Turkmenistan, einem Tibetischen Sattel (17. Jh.), einer Dörflichen Holztür (16. Jh.) aus der Türkei bis zum Sutra-Deckel aus Tibet (12. Jh.) reich bestückt. Beate Terfloth zog es immer nachhause (1997 – 98). Die grandiose Inszenierung eines allwöchent lichen Derwisch-Tanzes in der Gemeinschaft von Gläubigen nahe Lahore war ein Ergebnis ihres anhaltenden Austauschs mit einer ihr zunehmend vertraut gewordenen Umgebung. Donnerstag war Glückstag. Zwei Jahre war sie an diesen Tänzen der Trommler beteiligt, bevor sie dem Ereignis eine Darstellung im Film Allah-o-Akbar (1998 – 2001) widmete. Rirkrit Tiravanija fotografierte in untitled (1993 – 2001) Alltagssituationen mit Mönchen im modernen Leben Thailands. Seine Kindheit hatte er dort verbracht, sah das einst Gewohnte nun erstmals wirklich – mit dem Blick des Besuchers. An einem Sonntag 1995 trug Young Hay eine weiße Leinwand auf dem Rücken durch Hongkongs Innenstadt und ließ die Rückenansicht während des Spaziergangs von Keith Tang fotografieren. Inmitten der Überfülle an Bildinformationen zieht nun ein leeres Rechteck den Blick an. Young Hay bezog die Elemente der Aktion und des Werks Bonjour Young Hay (Performance after Courbet) (1995 – 2000) auf das Gemälde Bonjour Monsieur Courbet von Gustave Courbet und auf Kasimir Malewitschs Weißes Quadrat. Rainer Ganahls 3 months, 3 days a week, 3 hours a day – basic modern Greek and 6 days, 6 hours a day – basic modern Greek (1994 – 95) benannte «die Anzahl von Stunden, die es zu studieren galt – von einer Videokamera überprüft und registriert: Parallel zu meinen elementaren Griechischkenntnissen entstand in drei Monaten ein Stapel von Videokassetten mit einer Länge von weit über 100 Stunden, der vorgab, den Lernprozess zu repräsentieren.» (Rainer Ganahl).

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