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Ausstellungen

School's Out!

Ausstellung Sa., 23.11.2019–So., 23.02.2020

Liz Bachhuber: School's Out! Foto: Claus Bach., Bild: Claus Bach

Lesedauer etwa 2:42 Minuten

Eröffnung

Samstag, 23.11.2019 | 20 Uhr

Liz Bachhubers neuere Arbeiten bestehen aus Ästen, Altkleidern, Fahrradschläuchen, Plastiktüten, Motorhauben, Keramikfliesen, Kletterseilen und Kühlschranktüren. Der Kabelbinder ist ihr Himmelreich auf Erden. Er hält zusammen, was Liz Bachhuber — aus gefundener, toter Materie — zu Skulpturen und Installationen fügt, mit Leben erfüllt: Wiedergeburt und Altern in Würde in einem — und ein Leitmotiv, das sie bereits in ihren frühesten Arbeiten als Kunststudentin setzte, als sie begann, weggeworfenes Material, gemeinhin als Müll angesehen, mittels künstlerischer Arbeit aufzuwerten: ihr bewusster Widerspruch zu unserem konventionellen Wertverständnis, ihr Wille, die kulturellen Mechanismen der Abwertung und Ausgrenzung sichtbar zu machen.

Das Motto der Ausstellung School’s Out! steht für das Ende Liz Bachhubers jahrzehntelanger Lehrtätigkeit nebst wieder gewonnener Freiheit, für ein «Comeback» im ACC nach ihrem Housecall /Hausbesuch (1996) mit ihrer 2013 verstorbenen britischen Kollegin Monica Ross, die nachgeholte Vergegenwärtigung einer langen Karriere, ein «Auf zu neuen Ufern», ein kampflustig-schaffensfrohes Ziehen-aller-Register (Musikerin ist sie ja auch) mit 60 Werken auf 400 qm in 20 Räumen: Liz Bachhuber lässt es krachen. Installationen, Objekte und Zeichnungen, Fotos und Videos spiegeln die Materialität der turbulenten Nachwendezeit, des fieberhaften Aufbaus Weimars zur Kulturstadt Europas 1999 und kommentieren seine magische Verwandlung in eine märchenhafte Staffage, ein herausgeputztes Museumskleinod der Klassik, das jedes Jahr hunderttausende internationaler Touristen anlockt.

Mittels früher Werke aus den 1980ern, jener vom Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf und dem Nationalen Studioprogramm des PS1 in New York (die sie kürzlich aus einer Lagerhalle in Düsseldorf barg), wie auch solcher aus ihrer Weimarer Bauhaus-Universitätszeit, entstehen nach Schulschluss für School’s Out! neue, kontextbezogene Werke. Quasi eine Wiedervorlage? Genau — poetische, ästhetische oder anderweitig sachdienliche Fragmente einst raumspezifisch konzipierter Installationen werden einer Neubetrachtung unterzogen, re-interpretiert und wie beim Palimpsest in neue Arbeiten aufgenommen: In alten Zeiten wurden, bedingt durch die Knappheit an Beschreibstoffen, bereits vorhandene Manuskripte wieder vom Pergament abgeschabt oder abgewaschen, um es für ein neues Dokument wieder verwenden zu können, wobei alte visuelle Spuren erkennbar blieben. Auf die Art gewinnen Arbeiten der Gegenwart durch den Einsatz von Werkfragmenten aus der Vergangenheit zusätzliche Zeit- und Bedeutungsebenen. Erneute Betrachtung eigener, teils Jahrzehnte alter Arbeit mündet im Dialog mit einem jüngeren Ich, zeugt aber auch von Bachhubers permanentem ökologischen Interesse an Recycling und einem nachhaltigen eigenen Wirken als künstlerische Praxis. Für ihre nicht selten raumgreifenden Werke hat Liz Bachhuber nämlich eine ephemere Arbeitsmethode entwickelt — die temporäre Installation. Die gestattet ihr, in den Materialfluss einzutauchen und das abzufangen, was sie für die Produktion benötigt. Nach der jeweiligen Ausstellung oder dem Auftrag recycelt sie das Material zu 100%, bringt Autoteile zurück auf den Schrottplatz, gebrauchte Textilien in die Altkleidersammlung oder Baugerüste wieder zurück zur Leihfirma.

Insgesamt wirft Liz Bachhubers Œuvre Fragen auf wie: Welche Beziehung bauen wir in unserer zunehmend immateriellen, automatisierten und digitalisierten Gesellschaft zu physischen Objekten und vergänglichen Materialien auf? Charakteristisch ist ebenso, dass sie durch ihre Arbeit mit Abfall, Müll und Schrott den wesentlichen Wert von Material (an)erkennt, selbst von solchem, das weitgehend als unbedeutend gilt — und dass sie damit auf das ungeheure Potenzial von Transformationsprozessen verweist.

Die menschliches Leben umgebenden Alltagsobjekte manifestieren in ihrer Erscheinung und Konstruktion bestimmte Epochen, wie sie auch Artefakte im archäologischen Sinne sind, Sedimente unserer Entwicklung. Das ermöglicht es Liz Bachhuber, nicht nur das Material selbst, sondern dessen spezifische Ikonografie zu untersuchen, während beide in dieser Kombination einen bestimmten Inhalt transportieren. Der Fokus liegt dabei auf den narrativen und ästhetischen Qualitäten gefundener Objekte, oft solchen mit biografischer Relevanz für die Künstlerin. Sie reichen von skurrilen Sammlungen bis zu Materialexperimenten. Diese Artefakte bereits vergangenen Lebens — neu bearbeitet an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit — führen mitunter zum Selbstgespräch (der Künstlerin «früher» mit jener «jetzt»), erzählen aber auch vom Zwiegespräch zwischen überlieferter Historie und künftigen Entwicklungslinien, deren Herausforderungen und Möglichkeiten Liz Bachhuber somit aufzeigt — eine Konklusion mit Daumen nach oben, sollte die Besinnung uns einholen.

Sieben seelenverwandte Künstler(innen) lud Liz Bachhuber zur Ausstellungsteilnahme ein: Christian Claus | Carolin Gasse | Samira Gebhardt | Andreas Grahl | Michael Merkel | Linda Schumann | Florian Wehking

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