Überreichweiten – über die Wahrnehmung der DDR in der Kunst
Ausstellung Sa., 15.05.2004–So., 20.06.2004
Lesedauer etwa 3:11 Minuten
Bettina Allamoda (DE) / Peter Bauer (DE) / Laurenz Berges (DE) / Amanda Dunsmore (IE) / Nina Fischer & Maroan el Sani (DE) / Jean-Luc Godard (FR) / Katharina Hohmann, Stefan Dornbusch (DE) / Birger Jesch (DE) / Peter Kees (DE) / Herwig Kipping (DE) / Anne König, Axel Doßmann, Jan Wenzel (DE) / Wiebke Loeper (DE) / Cornelius Mangold (DE) / David Mannstein (DE) / Maix Mayer (DE) / Peggy Meinfelder (DE) / Marcel Ophüls (DE) / Felix Ruffert (DE) / Pavel Schnabel (DE) / Shelly Silver (US) Projekt Erfahrungsaustausch: Katja Heseler, Anja Hoppe (DE) / Jens Rudolph (DE) / Gundula Ulonska, Ursula Meyer (DE / CH) / Sibylle Windisch, Nicole Wolf (DE)
Co-Kurator*innen: Katharina Tietze und Ronald Hirte (beide Weimar)
In Bettina Allamodas Pre-future-historic Slab Series (1992) wurden aus fotografischen Abbildern der beim ersten Deutsch-Sowjetischen Raumflug 1978 mit der Multispektralkamera gemachten Erdaufnahmen plastische Landkarten eines Landes, das nicht mehr existierte – die Sowjetunion. Peter Bauers Rollbilder der Geschichte Der Wunsch nach Verbindlichkeit führt zum Plakat – oder auch nicht (2004) speisten sich aus der Oral History seiner Talkperformances, Interviews und Briefen zur DDR-Vergangenheit, kombiniert mit (typo)grafischen Elementen aktueller Lifestylemagazine. Mit nüchternem Blick auf leere Räume, Tapeten, Türen, Ecken und Flure zeichnete Laurenz Berges in Fotografien aus verlassenen Russenkasernen (1992 – 95), u. a. in Stahnsdorf und Berlin-Karlshorst, die Inventur einer Geschichte, die soeben noch Gegenwart war. Amanda Dunsmores geisterhafte Standbildanimation Peripherie (1997 – 2004) entstand aus Fotos vom Inneren einer verlassenen Kaserne am Rande Weimars, 1945 durch die Rote Armee übernommen, 1989 erstmals von Zivilisten wieder betreten. Mit PdR. Nachbild vom Verschwinden des Palastes der Republik (2001) erzeugten Nina Fischer & Maroan el Sani ein Nachbild der zentralen DDR-Repräsentationsarchitektur. Beide Kamerafahrten ihrer Doppel-Video-Installation PdR. Weißbereich (2001) bewegten sich simultan und parallel zueinander im entkernten Volkskammersaal – eine zeigte das Rauminnere, die andere die Fensterfront. In Allemagne neuf zero (1991), einem fintenreichen TV-Streifen voller Bild-, Wort- und Musikmontagen, ließ Jean-Luc Godard Lemmy Caution (Eddie Constantine) als ehemaligen Westagenten nach dem Mauerfall durch die verschwindende DDR irren und den Weg nach Westen suchen. Inspiriert von Immobilien-Auktionskatalogen zum Ausverkauf von Grundstücken und Gebäuden in der ehemaligen DDR suchten Katharina Hohmann und Stefan Dornbusch mit rixrax immo real (2004) die «Niemandsländereien» auf und entwarfen fiktive Werbeplakate im Stil jener Kataloge. Die überlieferten Spitznamen von 47 Jugendlichen der Tramper-Szene aus dem Sachsen der 1970er erschienen auf einer Landkarte von Birger Jeschs Multimediainstallation LUMPI – HIPPI – KRASSI (2004). Zehn Jahre nach ihrem Wegfall zeichnete Peter Kees mit Toncollagen, die aus Druckkammerlautsprechern vom Dach eines LO-LKWs aus NVA-Beständen klangen, und an 21 Orten die 1.391 km lange deutsch-deutsche Grenze als klangmauer (1999) akustisch nach. In Herwig Kippings DEFA-Debüt Das Land hinter dem Regenbogen (1991), angesiedelt Anfang der 1950er im DDR-Dorf Stalina, wollte der Großvater des Regenbogenmachers in der LPG das Paradies errichten, das sich als Vorhof zur Hölle entpuppte, in dem die Vertreter des Sozialismus über Leichen gingen und in grotesken Ritualen den Götzen Stalin anbeteten. Die Dia-Installation Das Schweigen von Alice Schmidt wird unterbewertet (2004) von Anne König / Axel Doßmann / Jan Wenzel erzählte in 15 Biografien aus der Hallenser Großwohnsiedlung Silberhöhe (nahe dem Chemiekombinat Buna) vom komplizierten, politisch ungelösten Strukturbruch im Osten. Wiebke Loeper zeigte in MOLL 31 (1995), ihrer autobiografisch geprägten Gegenüberstellung früherer Aufnahmen ihres Vaters mit eigenen, aktuellen Fotos vom selben Ort – der leer geräumten Wohnung, die ihr Elternhaus war, kurz vor dem Abriss – den Wandel des Berliner Ostteils. Der begnadete, streitbare Fragensteller Marcel Ophüls relativierte 1990 mit dem unterhaltsamen, lehrreichen Zeitdokument Novembertage: Stimmen und Wege über Mauerfall und DDR-Zusammenbruch die Wiedervereinigungseuphorie der Deutschen. Shelly Silver fokussierte im Dokumentarfi lm Former East / Former West (1994) drei Jahre nach dem Mauerfall in Hunderten Straßeninterviews in Ost- wie Westberlin auf das unterschiedliche Verständnis zu gleichen Begriffen (Demokratie, Freiheit, Sozialismus, Nationalität, Ausländer) der gemeinsamen Sprache. Schon 1988 drehte Pavel Schnabel in Weimar. Dann kam der Zusammenbruch der DDR. Brüder und Schwestern (1991), eine den DDR-Alltag und die Irritation nach dem rasanten Wandel vermittelnde Langzeitbetrachtung einer deutschen Wende, wurde möglich. Eintausend der Millionen seit 1967 vom VEB Sonneberg Oberlind produzierten Lichtschalterabdeckungen der Serie System 80 demontierte Cornelius Mangold aus leeren Plattenbauten in Halle-Neustadt und veredelte sie zu Wechselbilderrahmen, genannt System 80 / 25 Ein Souvenir (2003). Eine Reproduktion von Moritz Götzes Bild Am Strand im Kunstmagazin art, das sich auf Walter Womackas Gemälde Junges Paar am Strand (1962) bezog, diente Maix Mayer in tune up (2004) als Vorlage für ein an Uwe Kowski vergebenes Auftragswerk. Eine 1:1-Reproduktion von Kowskis Am Strand, wieder in Originalgröße des Womackagemäldes, ließ Mayer vom Möbelhaus Helmreich in ein möbliertes Musterzimmer im ACC integrieren. David Mannsteins LED-Laufschrift an der ACC-Fassade ... vorausgesetzt, dass er noch dort ist (2004) verlieh dem Briefwechsel (1946 – 50) Emil Ulbrichs, der jahrzehntelang unbeachtet unterm Dach des Burgplatz 1 lagerte, ein neues Gesicht. Im Sammelprojekt Meine ersten 100,- Westmark (2003) archivierte Peggy Meinfelder Gegenstände, die sich DDR-Bürger vom Begrüßungsgeld kauften, fragte nach deren Motivation für diese und dem späteren Gebrauch der Anschaffung. Felix Ruffert verfolgte mit light violet 26 (2004), jener blau-violetten Haartönung, die Spuren Margot Honeckers. Auch in Weimar war die DDR-Volksbildungsministerin mit dieser Färbung auffällig geworden.