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Ausstellungen

Wald vor lauter Bäumen — Forest for the Trees

Die Ausstellung des 28. Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie und der Stadt Weimar.

So., 26.02.2023–So., 14.05.2023

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Audino Diaz: Irony of the Forest — Ironie des Waldes, Bild: Claus Bach

Lesedauer etwa 5:51 Minuten

Ausstellungseröffnung Samstag, 25. Februar 2023, 20 Uhr.

Das Internationale Atelierprogramm der ACC Galerie und der Stadt Weimar geht in sein dreißigstes Jahr
Seit 1995 richtet die ACC Galerie Weimar in jedem Jahr eine internationale Gruppenausstellung mit den Stipendiat*innen des Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie und der Stadt Weimar aus dem jeweiligen Vorjahr aus. Gezeigt werden die Weimarer Arbeitsergebnisse jener Künstler*innen des dienstältesten Künstlerresidenzprogramms in Thüringen, die sich vorher mit einer Projektidee beworben hatten, von einer teils internationalen Kunstfachjury ausgewählt wurden und vier Monate im Städtischen Atelierhaus Weimar gelebt und gearbeitet haben. Viele Stipendiat*innen fühlen sich hier wohl und genießen die freie künstlerische Tätigkeit ohne ökonomische Zwänge.

Das Programm wechselt jährlich sein Thema: »Allegories« (1995), »Fascis — Fascism and Fascination« (1996), »Kopf an Kopf — Head to Head — Tête à Tête« (1997), »Community — Society« (1998), »Close to the Skin« (1999), »Heart’s Blood — Hand-Written Script« (2000), »The Measure of Things« (2001), »über MENSCHEN — The Future of the Human« (2002), »Origin — No Man’s Land« (2003), »Irony is dead. Long live Irony!« (2004), »The Culture of Fear« (2005), »The Subversion of Standstill« (2006), »ON THE OUTSIDE« (2007), »On Indefiniteness« (2008), »Failed Art — The Art of Failure« (2009), »Beyond Desire« (2010), »On Dilettantism« (2011), »What Happened to God?« (2012), »With Criminal Energy« (2013), »The Politics and Pleasures of Food« (2014), »Does Humor Belong in Art?« (2015), »The Art of Simulation« (2016), »A Romance with Revolution« (2017), »Solidarity — Now More Than Ever« (2018), »100 Years of Bauhaus — On Words and Images and Word-Image Art« (2019), »Homeland« (2020), »Retreat« (2021) und »Forest for the Trees« (2022).

Bislang waren 85 Künstler*innen aus 40 Ländern in Weimar zu Gast: Ägypten, Argentinien, Australien, Belgien, China, Deutschland, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Guatemala, Irak, Iran, Irland, Israel, Italien, Jamaika, Japan, Kanada, Kolumbien, Kroatien, Kuba, Mazedonien, Mexiko, Nepal, Niederlande, Norwegen, Pakistan, Peru, Portugal, Russland, Serbien, Simbabwe, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Uruguay, Venezuela, USA.

Die drei Stipendiat*innen des 28. Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie Weimar und der Stadt Weimar zum Thema »Wald vor lauter Bäumen — Forest for the Trees«, Dania González Sanabria (*1990, Kuba), Audino Diaz (*1973, Venezuela) und Jessica Wetherly (*1989, Großbritannien), wählte am 26. November 2021 im ACC eine teils internationale vierköpfige Fachjury, bestehend aus der Kuratorin Sabine Maria Schmidt, Kunstsammlungen Chemnitz, der Künstlerin und Kuratorin Kristin Wenzel (Gotha und Bukarest), dem Künstlerischen Leiter des Kunstfests Weimar, Rolf C. Hemke (Weimar und Bremen) und dem Künstler Victor del Oral (Mexiko-Stadt und Weimar), aus.

43 Bewerbungen aus 21 Ländern zum Thema des 29. Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie und der Stadt Weimar »DENUNZIATION!« wurden hingegen am 10. Dezember 2022 im ACC von einer teils internationalen vierköpfigen Fachjury bewertet. Die Jury bildeten: Cornelia Wagner, Kuratorin am HdK—Haus der Kulturen der Welt (Berlin), Manuela Ammer, Kuratorin und Kunstkritikerin am mumok—Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig (Wien), Wolfger Pöhlmann, freier Kurator, Kulturmanager und Autor (München) und Dania González Sanabria, Künstlerin (Havanna/Kuba) und Teilnehmerin des 28. Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie und der Stadt Weimar. Die Jury wählte folgende drei Künstler*innen aus: Diren Demir (*1997, Türkei), Raoofeh Rostami (*1985, Iran) und Jiaqing Mo (*1993, China). Sie sind 2023 Gäste der Stadt Weimar und stellen 2024 ihre Arbeitsergebnisse in der ACC Galerie Weimar vor. Beworben hatten sie sich für das Programm entweder, weil sie übers Internet davon erfuhren oder von einer/einem der weltweit 1.000 Kunstexpert*innen dazu angeregt wurden, die die ACC Galerie Weimar im Vorfeld darum gebeten hatte, die Bewerbungsunterlagen an ihnen geeignet scheinende Künstler*innen weiterzureichen.

Gewiss sehen wir Wald heute mehr denn je in einem überaus komplexen Bezugsnetz von ökologischen wie ökonomischen Interessen. Fortlaufend neue Erkenntnisse der Wissenschaften zur „Funktion“ als Biotop kommen hinzu, aber besonders wegen des Klimawandels ist Wald zum Politikum geworden: er wird – zumal in seinen Urformen – diskutiert und in eins idealisiert als zu verteidigende Seltenheit, als schwindender Lebens- und Überlebensraum, als CO2-Speicher und Biodiversitätsförderer, als Pendant zur lärmenden urbanen Zivilisation wie zur intensivierten Landwirtschaft, auch als von Alters her romantisierte und heute touristische Großattraktion. Und die massenmediale Vervielfachung all dessen erzeugt einen in sich widersprüchlichen und unübersichtlichen Begriff von Wald, und macht es umso schwieriger, noch den „Wald vor lauter Bäumen“ (wie Christoph Martin Wieland einst formulierte) zu sehen. Die angedeutete Idealisierung erinnert teils an die Romantisierung insbesondere im 19. Jahrhundert, doch rasch wurde Wald von Nationalisten auch zum starken, gesunden, unbeugsamen Repräsentanten der „deutschen Seele“ stilisiert.

Aber in globalen Zusammenhängen wissen wir, dass kein noch so tiefer Wald inzwischen als mehr oder minder märchen- und schauderhafter Fluchtort sicher ist. Und so ist zu fragen, was übrigbleiben wird vom kulturgeschichtlichen Ort des Dunklen, der Einsiedler und Räuber, der Gefahren und Gesetzlosigkeit? Und auch vom psychologischen Ort der Begierde, des Unheimlichen und der Bedrohung? Müssen wir konstatieren, dass die moderne „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) auch weitgehend eine Entzauberung des Waldes nach sich zieht und dass Wald in Zukunft vielmehr eingehegt werden muss zu seinem Schutze, wo doch das Einhegen selbst schon einen Widerspruch zum Freien und Autonomen der Urwälder darstellt? Und welche Positionen und vielleicht Kompensationen etwa durch die bildende Kunst haben noch Raum und bieten Perspektiven, in denen Wald so etwas wie „Zauber“ behält?

In seinem 28. Jahr erhofft sich das Internationale Atelierprogramm der ACC Galerie und der Stadt Weimar von Künstler*innen aus aller Welt Projektvorschläge, die sich nach Möglichkeit auch mit lokalen Kontexten Weimars und Thüringens befassen: die Bäume der Weimarer Gärten und Parks wie die des Thüringer Waldes dürfen selbst konkreter Ort oder Gegenstand künstlerischer Interventionen werden, wenn wir dazu animieren möchten, Stadt und Landschaft als Erweiterungen unserer Atelier- und Galerieräume zu begreifen.

Die Stipendiat*innen:

Dania González Sanabria (*1990) koppelt Ánima – The Inner Landscape (Ánima – Die innere Landschaft), eine seit der ACC-Ausstellung Dirty Talking – Thüringer Verführungen wachsende Sammlung von Erinnerungsobjekten von Bürger*innen aus Weimar, Friedrichsrode (Nordthüringen), Halle (Saale) und Havanna (Kuba), an ein hängendes Bewässerungssystem, das ausgehend von herzähnlichen Gefäßen in Intervallen Wasser über ein vieladriges Pipelinesystem in Teile dieses Mikrobiotops tropft, um jene Erinnerungslandschaft mit Moosen und anderen Pflanzen (wörtlich und symbolisch) zum Leben zu erwecken. Eine interaktive Langzeit-Performance hilft Interessierten zudem, in einer Erinnerungswerkstatt ihre Geschichten auf Papier zu bannen und einzupflanzen. Jeder ist herzlich eingeladen, sich mit Objekten, Materialien jeder Art und Größe oder Erinnerungen an diesem Kunstprojekt zu beteiligen. Und Algunas cosas quedaron (Einige Dinge sind geblieben) ist eine Installation aus sechs Bienenstöcken (eines DDR-Bienenzuchtbetriebs), deren "soziale Konstruktion" herausnehmbare Fotos lichtbildartig (hinter Wabenstrukturen) mit Erinnerungsmotiven kombiniert, die auf historischen, sozialen und politischen Bezügen zu den Utopien und Dystopien des Kommunismus basieren, ein Projekt, das mit der ACC-Schau An den Rändern taumelt das Glück seinen Anfang nahm.

Die Enteignung, die der Mensch Mutter Natur zufügt und die den Menschen der Zukunft dazu bestimmt, in der Unsicherheit eines verwüsteten Universums zu leben, zieht sich als konstante Sorge durch Audino Diaz’ (*1973) Werk. Aus zahllosen welken Laubblättern entstand seine Wandinstallation Irony of the Forest (Ironie des Waldes). Die zehnteilige Gemäldeserie Hidden Forest (Versteckter Wald) spiegelt des Künstlers spirituellen Zustand wider. Steine waren bei den indigenen Völkern so wichtig wie Menschen, weil sie als alt und erfahren galten. Visual Insights, Language & Google Translator (Visuelle Einblicke, Sprache & Google-Übersetzer) ist ein Buch mit 86 colorierten Zeichnungen, auf denen sich Audino Diaz mit spirituellen Themen und Überlegungen rund um die Natur und den Menschen auseinandersetzt. Er setzt Bilder und Sprachausdrücke, die auf den Erfahrungen seines Lebens beruhen, in Beziehung zueinander. Die Skulptur Self Portrait as Natural Force (Selbstbildnis als Naturgewalt) ist aus einer schamanischen Katharsis hervorgegangen – der Künstler als ein Wesen, das zu seiner natürlichen Umgebung gehört und Teil von ihr ist. Die hier verwendeten Materialien (Haare, Finger- und Zehennägel und Pferdemist) erlauben es ihm, mittels eigener Zellen mit einer Welt zu verschmelzen, die eine andere Realität hervorruft.

When the Moon Howls (Wenn der Mond heult) ist ein Projekt von Jessica Wetherly (*1989), in dem sie die Verzauberung und Entzauberung des Waldes nach Jahrhunderten der Domestizierung und Fragmentierung erforscht. Die skulpturale Installation, die sich über drei Räume erstreckt, wird zu einem Spukhaus, in dem sich Mythen, Märchen und Folklore verflechten. Die Ausstellung ist eine Traumlandschaft, eine neue rituelle Erzählung, die sich mit Ausdauer, Angst und Isolation befasst und die Erfahrungen der Künstlerin mit nächtlichen Wanderungen reflektiert. Sie schlüpft in ein Wolfskleid, um sich wieder mit der Wildnis zu verbinden, als Gegengift und Flucht vor der Monotonie des Ökozids. Diese Metamorphose eröffnet radikale neue Wege des Denkens und der Verbindung zum Nicht-Menschlichen. Die zur Ausstellung erschienene Publikation verarbeitet einige Erfahrungen Jessica Wetherlys hier in Thüringen, sie enthält einen Bildessay Spirit of the South Slope (Geist des Südhangs) über den Weißdornwald am Südhang von Ettersburg sowie einen Essay A Haunted House (Ein Spukhaus), beide von Jessica Wetherly, und die Kurzgeschichte Lady of the Wood (Die Frau aus dem Walde) von Harry De Moraville. Wetherly und De Moraville haben diese Texte nach ihrem Besuch in Bayern geschrieben.

Zehn Fragen und Antworten der Stipendiat*innen sind unten als Pdf verlinkt.

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