Hannes Meyer
CH, gestorben 1954
Lesedauer etwa 3:15 Minuten
Als Walter Gropius 1928 den sechs Jahre jüngeren Schweizer Architekten Hannes Meyer (geboren 1889 in Basel, Schweiz) zu seinem Nachfolger ernannte, hatte er eine Neuausrichtung des Bauhauses im Sinn. Zwar war Meyer, als er ein Jahr zuvor als Leiter der neu gegründeten Architekturabteilung ans Bauhaus geholt worden war, zunächst nur die zweite Wahl – ursprünglich hatte Gropius den holländischen Architekten Mart Stam im Sinn –, doch obwohl Meyer bis dahin nur wenig gebaut hatte, war er in den Zwanziger Jahren zu einem der bekanntesten Architekt*innen des Funktionalismus geworden. Auch sein Werdegang entsprach dem Ideal, das Gropius in seinem Manifest formuliert hatte: Der Künstler soll, schrieb Gropius, am besten damit beginnen, ein Handwerk zu erlernen. Meyer, Sohn eines Architekten, war gelernter Maurer und Steinmetz. Als Werkstattleiter verkörperte er die ideale Mischung aus Werk- und Formmeister, wie sie von Gropius im ursprünglichen Schema der Lehre in Weimar festgelegt worden war. Doch obwohl Meyer die von Gropius erhoffte Neuausrichtung der Lehre und der Werkstätten weitgehend gelang, zeigten sich zwischen Gropius und seinem Nachfolger bald deutliche ästhetische und politische Differenzen.
Meyer hatte seine Architektenkarriere 1905 mit einer Ausbildung zum Maurer und Bauzeichner in Basel begonnen, wo er auch Baukurse an der Gewerbeschule besuchte. Es folgten Stationen in Berlin bei den Architekten Albert Fröhlich und Johann Emil Schaudt (KaDeWe). Im englischen Bath studierte er Wohnungsbau. Im Jahr 1916 wurde er Bürochef des Münchner Architekten Georg Metzendorf, für den er an der Planung der Krupp-Siedlung Margarethenhöhe in Essen arbeitete. Ab 1919 führte Hannes Meyer ein eigenes Architekturbüro in Basel. Nach seinen Plänen entstand 1919 bis 1921 die Genossenschaftssiedlung Freidorf bei Muttenz. 1924/25 schloss er sich der Basler Gruppe um die Zeitschrift „ABC Beiträge zum Bauen” an, zu der auch Mart Stam, El Lissitzky und Hans Schmidt gehörten. Gemeinsam mit Hans Wittwer, mit dem er später die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau bei Berlin baute, experimentierte er 1926/27 mit konstruktivistischen und funktionalistischen Bauformen, aus denen die nicht realisierten Wettbewerbsentwürfe für die Petersschule in Basel und den Völkerbundpalast in Genf hervorgingen.
Hannes Meyer kam 1927 ans Bauhaus in Dessau, wo er die Leitung der neugegründeten Bauabteilung übernahm. Am 1.4.1928 berief ihn Walter Gropius zu seinem Nachfolger als Direktor. Als zweiter Direktor des Bauhauses reformierte Meyer grundlegend die Struktur der Lehre. Er trennte die Wissenschaft von der Kunst, führte zusätzlich neue technische, natur- und geisteswissenschaftliche Fächer ein und orientierte die Arbeit in den Werkstätten an Industrievorgaben. Meyer vertrat den Standpunkt, dass das Bauhaus von seiner Idee abgekommen sei, „für das Volk” zu gestalten: Die meisten Bauhaus-Produkte waren bereits damals teuer und damit einer exklusiven Käuferschicht vorbehalten. Meyers neue Parole lautete deshalb: „Volksbedarf statt Luxusbedarf!”
Die anhaltende Kritik Meyers an der Richtung, in die sich das Bauhaus entwickelt hatte, sorgte für zunehmende Spannungen mit Walter Gropius, der seine Hausmacht auch nach seinem Rücktritt nicht eingebüßt hatte. Statt der Wesensforschung der Studenten etwa forderte Meyer von ihnen nur die reine Bedarfsermittlung der Nutzer. Er betrieb den Ausbau der Werkstätten auf kooperativer Basis und richtete sogenannte „vertikale Brigaden“ aus Studenten ein, die er an der Umsetzung von Projekten wie dem Bau der Bundesschule des ADGB beteiligte.
Hannes Meyer war in seinen Städtebauplänen der Genossenschaftsbewegung verpflichtet und fühlte sich dem linken Spektrum der Sozialdemokratie verbunden. Von 1928 bis 1930 baute er die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ADGB sowie die Lehrer*innenhäuser in Bernau bei Berlin, 1928 das Haus Nolden in der Eifel. Von 1929 bis 1930 erweiterte er die von Gropius erbaute Siedlung Dessau-Törten um die Laubenganghäuser. Und 1937 entstand unter seiner Leitung in der Schweiz das genossenschaftliche Kinderferienheim Mümliswil.
Während seines Direktorats kam es zu einer Politisierung und Radikalisierung der Bauhaus-Studenten, der Einfluss der Kommunisten wuchs. Weil Meyer als Direktor diese Tendenzen nicht unterbinden konnte, plädierte schließlich auch Gropius gemeinsam mit dem Dessauer Bürgermeister Fritz Hesse für eine Entlassung Meyers, um politischen Schaden von der Schule abzuwenden. Am 1.8.1930 wurde Meyer von der Stadt Dessau wegen „kommunistischer Machenschaften“ fristlos entlassen. Seine Nachfolge als Direktor trat Ludwig Mies van der Rohe an – auch ihn hatte Gropius vorgeschlagen.
Im selben Jahr emigrierte Meyer in die Sowjetunion, wo er unter anderem an der Hochschule für Architektur lehrte und den Entwicklungsplan für „Groß-Moskau“ entwarf. Im Zuge der stalinistischen Säuberungen, der auch Meyers damalige Lebensgefährtin zum Opfer fiel, kehrte er 1936 in die Schweiz zurück. Von 1938 bis 1949 lebte Meyer als Dozent, Städteplaner und Architekt in Mexiko. Die mexikanische Regierung hatte Meyer 1939 zum Direktor des neu gegründeten Instituts für Stadtbau und Planung des Nationalen Polytechnischen Instituts ernannt. 1949 kehrte er nach politischen Differenzen endgültig in die Schweiz zurück.
Hannes Meyer, auch der „unbekannte Bauhausdirektor“ genannt, war den einen stets zu kommunistisch und den anderen stets zu bürgerlich. Erst in der Rückschau zeigt sich, dass er das Bauhaus wohl stärker geprägt hat, als es Gropius vielleicht wahrhaben wollte.
Mehr zu dem Künstler finden Sie hier: www.bauhauskooperation.de/wissen/das-bauhaus/koepfe/biografie/1437/