Lucia Moholy
AT, GB, HU, gestorben 1989
Lesedauer etwa 2:59 Minuten
Untilgbar scheint der Nimbus der Bauhaus-Fotografie: »Nahezu jeder erhaltene Dunkelkammerabfall«, spöttelte der Kunstwissenschaftler Rainer K. Wick einmal, werde »wie eine Reliquie« behandelt (Wick, 1991, S. 12). Umso bemerkenswerter, dass ausgerechnet Lucia Moholy (geboren am 18. Januar 1894 in Karolinenthal bei Prag/Praha (ehem. Österreich-Ungarn, heute: Tschechien), die Fotografin, die die heute bekanntesten Aufnahmen von der Deutschen liebsten Kunstschule fertigte, zum Musterexemplar verquerer Künstlerinnen-Rezeption geriet. Mit ihren neusachlichen Schwarzweiß-Aufnahmen prägte Lucia Moholy wie kein(e) zweite(r) das Bild vom Bauhaus, seinen inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe geadelten Bauten, seinen Meister*innen und Schüler*innen. Kaum vorstellbar, wie die designhistorisch durchschlagenden Bauhaus-Produkte – Marcel Breuers hippe Freischwinger oder Wilhelm Wagenfelds kugelsegmentförmige Leuchten – je ohne Moholys unaufgeregte Werbefotos hätten zu derartigen Bestsellern avancieren können: Bis heute schmeicheln sie dem Vorzeige-Inventar bildungsbürgerlicher Eigenheime. Kaum denkbar, wie die vielzitierten »Bauhaus-Bücher« je ohne Moholys Fotos und ihre kluge, erfahrene Redaktion hätten publiziert werden können. Und auch jenseits der Bauhaus-Ära hinterließ Moholy manch kleinen Meilenstein, den sie zu Recht am Lebensende stolz identifizierte (Moholy, 1983): 1942 etwa, als sie in London die Leitung eines großen Mikro-Verfilmungsprojektes übernahm. Oder 1946, als die UNESCO sie zu einer zentralen Verfilmungsbeauftragten ernannte. Doch als Lucia Moholy 1989 stirbt, findet das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL (29.05.1989) wundersame Worte: Zur Selbstverleugnung neigend, habe sie als »bescheidene Dienerin zweier Herren« gelebt – ihres Gatten László Moholy-Nagy und des Bauhaus-Direktors Walter Gropius. »Kein Zweifel … der Künstler war er«, Moholy-Nagy, – und »nicht sie«, resümiert sechs Jahre später ihr Wiederentdecker und Biograph Rolf Sachsse (Sachsse, 1995, S. 22). Dies aber sind nicht die einzigen Trugschlüsse über Moholys Leben, wie die jüngere Forschung zeigt. Fünf Jahre weilt Lucia Moholy am Bauhaus – seit László Moholy-Nagys Berufung zum Meister 1923, bis 1928. Das Bauhaus, 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet und 1925 nach Dessau verzogen, gilt vielen als Moderne-Inkunabel per se – oder wie Moholy spöttelte – als »Wiege von allem«, was sich »als supermodernistisch gebärdet« (Moholy, 1971). Dass Gropius und seine Mannen ein eher reaktionäres Frauenbild pflegten, wurde oft gerügt, trübte die Bauhaus-Euphorie jedoch bloß marginal. Ähnlich wie Gertrud Arndt und Marianne Brandt leidet Lucia Moholy unter dem misogynen Klima, reagiert mit »milder Ironie« (Sachsse, 1995, S. 11). Auch die androzentrische Bauhaus-Rezeption nach 1945 erzürnt sie: Zu viel werde über die Meister geschrieben, moniert sie. Endlich müsse die Rede von deren Ehefrauen sein – sie hätten maßgeblich an der »Geschichte und Nachgeschichte des Bauhauses« (zit. n. Valdevieso, S. 71) mitgewirkt. Und zwar unentgeltlich: Moholy ist im Gegensatz zu ihrem Mann und den meisten fotografierenden Bauhäusler*innen jener Tage ausgebildete Fotografin. Rasch avanciert sie zu einer Art »Hausfotografin« – Gropius nutzt ihre Aufnahmen als Grundlage jeder Bauhaus-PR, für fast jede Publikation. Eine offizielle Position, eine Entlohnung oder gar Anstellung erhält Moholy indes nicht (Baumhoff, 2009, S. 183). Ebenso unentgeltlich bringt Moholy ihr gesamtes, als Verlagsmitarbeiterin erworbenes Fachwissen zur Herausgabe der 14 »Bauhaus-Bücher« ein. Herausgeber Gropius und Moholy-Nagy hatten offiziell »weder Zeit noch Neigung, sich mit den Details der Buchherstellung zu befassen« (Moholy, 1972, S. 44). Lucia Moholys Portraits von Walter Gropius, Florence Henri und Clara Zetkin zählen heute zum Standardrepertoire vieler Foto-Bände. Entstehungszeitlich aber werden sie kaum gedruckt. Die ungewöhnliche Kombination großer Formate mit Tageslicht, mutmaßt Moholy über die Nichtbeachtung, möge ihren Zeitgenossen »etwas seltsam erschienen sein« (Lucia Moholy, 1978). »Ich habe Menschen fotografiert wie Häuser«, sagt sie außerdem (zit. n. Sachsse, 1995, S. 19). Es ist ihr meistzitierter Satz. Und der missverständlichste: Zwar scheint sie in der Tat von dezentem Schematismus gelenkt – gern nimmt sie je eine Aufnahme en face, eine en profile, eine aus leichter Vogel- und Froschperspektive. Nur so könne sie einen objektiven Eindruck gewinnen, erklärt sie. Auch rahmt sie – anders als Kollegin Lotte Jacobi – die Portraitierten tunlichst nicht mit persönlichen Momenten, der eigenen Wohnung gar. Sie trachtet nach möglichst neutralem Hintergrund, meidet Status- und Berufssymbole, die Kulissenhaftigkeit historischer (Studio-)Fotografie. Von neusachlichem Dogmatismus ist sie dennoch weit entfernt. Abgesehen von den Aufnahmen Nelly und Theo van Doesburgs (1924), lichtet sie ihre Mitmenschen – meist sind es Bekannte oder Freunde – zumeist in sehr persönlichen Augenblicken ab. Bisweilen retuschiert sie die Negative – für rigide Neusachliche ein stattlicher Fauxpas. Nach eigenen Angaben sucht sie nach den Ansichten und Ausschnitten, die »für den karakter … deutlicher« (zit. n. Guttenberger, 2012, S. 169) seien. Dies sei mal das Profil, mal die Hand, mal die »Ganzfigur«. An dieser Stelle zeigt sich Moholy als Kind ihrer Zeit: Weder hinterfragt sie, ob Menschen überhaupt über eine vermeintlich unverkennbarste Seite verfügen, noch ob sich der sog. Charakter per Portrait fixieren lässt.
Mehr Infos zu der Künstlerin finden Sie hier: www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/lucia-moholy/