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  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
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Veranstaltungen

Das Lächeln der Forsythie

11. Dezember 1999 bis 16. Januar 2000

Sa., 11.12.1999

Lesedauer etwa 2:13 Minuten

Die Künstler vergegenwärtigten in letter box weimar (1999) das Abenteuer der Kommunikation nicht im Medium des Sprechens, sondern des Zeigens. Am Anfang standen die Spielregeln (unter 3. las man z. B. «Die Kommunikation der Spieler untereinander geschieht auf dem Postweg», 4. «Es gibt keinen Spieler, der alle anderen Teilnehmer persönlich kennt», 5. «Die Teilnehmer spielen nicht gegeneinander, sondern miteinander», 6. «Mit jedem Spielzug wird den Teilnehmern eine zu erfüllende Aufgabe gestellt und der dabei nutzbare Freiraum definiert usw.»). Die erste Aufgabe, von den Spielleitern per Post an 16 Künstler aus aller Welt gestellt, lautete, die Briefumschläge mit einem Zeitungsausschnitt ihrer Wahl gefüllt zurück an die letter box weimar zu senden. Der Weimarer Briefkasten füllte sich mit Nachrichten aus dem globalen Dorf: Da lag die Geste des pädophilen Schuldirektors aus England neben der Collage über das Schicksal eines Jungen aus Litauen, der durch ein Feuerwerk mit gefundener deutscher Kriegsmunition seinen Freund tötet. Im Brief aus Skopje war die mazedonische Wetterkarte zu kleinen Flugzeugen gefaltet – schon vor dem Beginn des Luftkriegs der NATO. Aus Rotterdam flatterte in den Briefkasten das Antlitz der Schönheitskönigin, die in Venezuela Präsidentin werden wollte. Der Brief aus New York fragte nach der Liebe mit dem Taubstummen … Auf dem Wege des Austauschs wurden diese Zeitungsnachrichten zu fi ktiven Filmtiteln und diese im nächsten Kontakt zu real belichteten Diafi lmen, während die Initiatoren selbst teils assoziativ, teils direkt auf die Einsendungen reagierten und damit neue Spielrunden initiierten. Aus dem MAIL ARTig gestarteten Projekt wurde plötzlich ein internationales Filmfestival mit zwölf Neuerscheinungen: Our Tiger Carlos von Daniel Schürer, Perfect Perforated Clouds von Ellen Harvey, Tower of Visions von Antoni Maznevski, Red Liners under Contract von Gue Schmidt, Short Glance over quiet Meadows von Jurga Barilaite, Hold on her Majesty von Sebestyén Zoltán, The Next is the Guess von Marion Bösen, First Offer for Wardress von Lucy Le Feuvre, Argentine Sweetheart von Robert Jankuloski, One Business two Colors von Marc Haverkort, The Figleaf von Paul Eachus und Eve from Idaho von Udo Dettmann. Performance, Filmmusik und Musikvideo entstanden, denn Kommunikation zu betreiben hieß hier, über ihre Formen nachzudenken. Wie wird eine öffentliche Nachricht zu einer persönlichen Geschichte? Oder was erzählt ein Bild aus dem persönlichen Umfeld, verwandelt in öffentliche Sprache? letter box weimar entwickelte sich zwischen Aktion und Reaktion zu einem immer komplexer werdenden Verständigungs- und Produktionsprozess. Dabei kam es nicht nur zu einer bemerkenswerten Balance der künstlerischen Ansprüche beider Spielleiter / Künstler, sondern im unentwirrbaren Gefl echt des Sprechens und Zuhörens, Bildgebens und -nehmens zeichneten sich alsbald die Konturen ihrer Mitspieler ab, die vieles über alle geografi schen und sprachlichen Grenzen hinweg miteinander verband – Ausdruck eines gemeinsamen, global operierenden künstlerischen Selbstverständnisses. In Frage und Antwort verzahnten sich die Ebenen zwischen Visuellem und Sprachlichem untrennbar ineinander. Ein Jahr nach dem Spielstart wurde der Briefkasten – in Form eine intermedialen Installation – und somit das entstandene Netzwerk für das Publikum geöffnet. Darin auch Briefumschläge, in denen die Künstler ihr persönliches Lächeln verschickt hatten. Man konnte den Farbcode von letter box weimar entschlüsseln oder an einem Lichttisch durch das letter box fi lmfestival surfen. Die letter box weimar war ein Appell an unsere schwindende Selbstrefl exion in der Mediengesellschaft, an unsere Fähigkeit, «herauszutreten», um den Blick von «Außen» auf das babylonisch Verwirrende der täglichen und automatisierten Mitteilungsbeziehungen zu richten.

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