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  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
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Veranstaltungen

DAS MASS DER DINGE

7. EUROPÄISCHES ATELIERPROGRAMM 2001 | ACC GALERIE UND STADT WEIMAR 23. Februar bis 31. März 2002

Sa., 23.02.2002–So., 31.03.2002

Lesedauer etwa 2:03 Minuten

Selbsterkenntnis ist die dringlichste und zugleich vielleicht auch schwierigste Aufgabe des Menschen. Das wussten schon die alten Griechen, die den Eingang zum Orakel von Delphi mit dem Mahnspruch «Gno¯thi seautón» («Erkenne dich selbst») versahen – und in diesem Kontext ist auch an das «Me¯dén ágan» («Nichts im Übermaß») zu erinnern. Allerdings, klingt in dieser Gegenüberstellung nicht auch eine Warnung vor einem Übermaß der Selbsterkenntnis an? Irena Paskalis Installation Zwischen. My Mind, My People (2001) regierten Trauer, Ohnmacht, albtraumartige Visionen. Romantische Ganzheitssehnsucht wechselte mit masochistischen Körperfantasien. Im Vorraum des simulierten Kino-Ambientes waren 18 Plastiken menschlicher Hirne, genährt über Schläuchemit Flüssigkeit aus Messbechern, auf denen Gedichte standen. Im «Kinosaal» saß auf jedem zweiten Stuhl eine weiße Menschgestalt ohne Kopf – den hielt sie im Schoß. Auf der «Leinwand» sah man Paskali im schwarzen Kleid zwischen ebenjenen Figuren, sie versuchte, sich mit ihnen zu vermählen. Man sah Ärzte, die Hirne wuschen und bürsteten, eine Fabrik, in der man Hirne auf dem Fließband stempelte – Szenen, die Unterwerfung, Kontrolle, Gleichschaltung, Säuberung evozierten – eine aus den Fugen geratene Welt. Doch wie entzieht man sich Propaganda und Meinungsmanipulation, bewahrt Eigenheit, Autonomie? Martialisch verleibte sich Paskali im Film das Hirn im wahrsten Sinne des Wortes ein One day, one life (2001) griff das Leben von Nachbarin Duska in Skopje auf. Wie unberechenbar kann ein Leben auf dem Balkan sein? Gesicht und Gestik sprachen Bände. Irim Lux realisierte eigene Vorstellungen im Verbund von Musik, Off Culture und Bildender Kunst. Bildnerischer Wortschatz, laute, plakative Farbigkeit und kalligrafi scher Charakter der Malereien verwiesen auf seinen Hintergrund in Spaniens Subkultur und Graffiti-Szene. Von da war er aufgebrochen, «reihte, zoomte, probierte das Gesetz der Serie: Wir beobachteten die (Selbst-)Zähmung eines Wilden für die Ansprüche des Kunstbetriebs.» (Kai Uwe Schierz) Seine in Weimar «gesprayten» Welten wie ILX-W7465 /4, ILX-W337 («ICH», beide 2001) oder ... riecht nach Farbe (2002) zeugten vom ausgeklügelten System Luxschen Selbstausdrucks, von der Präzision seiner Technik. Kombinierbar wie Mosaiksteine zu neuen Raumvorstellungen, waren sie codiert, beständig und fantasievoll modifi ziert aus wiederkehrenden Elementen. Unseren Wahrnehmungsmaßstab der Dinge legte Lux frei, spielte mit dem Verhältnis von Vorder- und Hintergrund, Transparenz und Undurchdringlichkeit, Innen und Außen, Oben und Unten. Enrica Borghi «verknüpfte ‹Markenzeichen› italienischer Kultur miteinander: die Junk- Ästhetik der ‹arte povera› und das Innovationsdiktat der Mailänder Modezaren» und «verarbeitete konsequent den Müll, das Ausgeschiedene unserer überhitzten Wegwerfgesellschaft.» (Kai Uwe Schierz) Dabei verweigerte sie sich der schnelllebigen Fashion-, Lifestyle- und Sportwelt. Modekollektionen wie die orientalisch anmutenden Kopfbedeckungen Odaliske, Tè nel deserto – Der Himmel über der Wüste, Vacanze Romane und Città delle Donne – Stadt der Frauen (alle 2002), alternative Wintersportartikel (Olympia 2006 in Turin im Auge) wie das Schneecape Blauer Quarkzwerg, die Schneeschuhe Apfelkompott, Snowboards und Ponchos aus Verpackungsmaterial der Thüringer Milchwerke oder das Brautkleid La Sposa (alle 2001) aus dem Abfall der Karland Agrarproduktion waren ausgetüftelte Basteleien. Borghis Besuch des vom Bauboom gebeutelten Berlin gipfelte in der Arbeit Bau-Bau (2001): Yoghurtdeckel als architektonisches Ensemble. Borghis Fotoreportage Kartoffeln und Quark (2001) und ihre Blütenwolke Nebulosa (2002) rundeten die Kunst(stoff)welt und schlossen den Galerieparcour ab. Andrea Dietrich, Julia Draganovic und Ulla Seeger (alle Weimar) wählten die Stipendiaten aus.

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