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Veranstaltungen

über MENSCHEN

8. EUROPÄISCHES ATELIERPROGRAMM 2002 | ACC GALERIE UND STADT WEIMAR 07. März bis 27. April 2003

Fr., 07.03.2003–So., 27.04.2003

Lesedauer etwa 3:10 Minuten

Erlaubt der mediale Bilderwahn, gestattet der Mensch angesichts seiner möglichen «Aufl ösung» in Klon und Hybrid mittels Gentechnik und Körperkult künftig etwas anderes als seine Darstellung als Konsument, Sexualobjekt – oder Leiche? Menschen werden oft übersehen, übergangen, überfordert – indem man sie in der heutigen Bilderwelt mit fragwürdigen, unerreichbaren Vorbildern konfrontiert. Sind das die neuen Übermenschen? Ist das die Zukunft des Humanen? AES+F folgten in The King of the Forest (2001 – 02) dem Erlkönig-Mythos von Verführung und Kindheitsraub in die Gegenwart. Performancefi lme und Fotoleinwände wie Le Roi des Aulnes (2001 – 02) und More Than Paradise (2002) zeigten spontane, beängstigende wie schöne Massenchoreografi en mit (dem Schönheitswahn bereits verfallenen oder dazu gezwungenen?) Kindermodels in weißer Unterwäsche im Thronsaal des Katharinenpalastes bei St. Petersburg und vor der Schlossmoschee Mohammed Ali in Kairo. Auf den zynischen «Heiligen»-Gemälden von Stipendiatin Biljana Djurdjevic waren jene Übermenschen durchaus diesseitig und heutig, die Idole einer säkularisierten Welt – trunkene Popstars oder Weihnachtsmannkomparsen, jeglicher Hinweise auf Transzendenz beraubt. In The Last Days of Santa Claus (2001) fand sich jener auf dem Seziertisch, in Unterhosen, perspektivisch verkürzt. Beim Suizidbild My Heart Belongs to Daddy (2002) und jenem Marilyn-Monroe-Bekenntnis dachte Djurdjevic wohl eher an den angeblichen Drogentod Elvis Presleys als an Uwe Barschel. Geografi sche Karten mit leicht überdimensionierten Leerstellen in Form menschlicher Umrisse konnte man in Jesús Galdóns Installation On this side of the mirror (1996) «füllen», sah sich selbst – durch Folie bläulich-unscharf – samt neuer Umgebung im Spiegel, ein Gefühl der Unangemessenheit entstand – man passte nicht so recht ins Bild. Welche Lücken bleiben, wenn man fortgeht? Was nimmt man mit von der Geografi e der Heimat? Giovanni Manfredini stellte auf den Tafeln Tentativo di Esistenza (Existenzversuche, 2003) leuchtend weiße Figuren mit dem eigenen Körper her, welchen er auf mit Ruß geschwärzte Flächen drückte – fl iegende Lichtgestalten im Dunkel, von denen man nie wissen wird, ob sie befreit jauchzten oder sich in Folter krümmten. Bjørn Melhus’ Again and Again (1997) griff mit dem Vokabular und der Ästhetik der Werbewelt die endlose Duplizierbarkeit des Menschen und deren Folgen auf. America Sells (1990) ironisierte mit dem Footage einer Realszene auf dem Berliner Alexanderplatz die merkantile Eroberung des Ostens kurz nach der Währungsunion, die «neuen Werte». In Alexandros Psychoulis’ skurriler Computeranimation Nietzsche’s Last Song (2003) entwickelte der markante Philosophenbart sein Eigenleben. In Supermanket (2003, Wortspiel aus «superman», «supermarket» und «manko») hatte ein geschäftiger Einkäufer seinen berollschuhten Fuß verloren, der ihm treu wie ein Hund mit leisen Pling-Geräuschen folgte. Anne-Britt Rage griff auf ihrer drehbaren Rundumbühne Teatro Magnetico (2002 – 03) in vier experimentell-poetischen, interaktiven Theaterstücken gesellschaftliche Konfl iktsituationen aus vier Kulturkreisen (spanisch, iranisch, norwegisch, französisch) auf, in die man spielend eingreifen, eigene Lösungsvorschläge umsetzen konnte. Silke Rehberg porträtierte Kunstdirektoren (2002 – 03) als «übermenschliche» Vertreter der Kunstwelt – Annely Juda (als afrikanische Wasserträgerin), Dr. Franz-Joachim Verspohl (als nubischer Krieger), Ferdinand Ullrich, Eduard Beaucamp – in zwei Drittel ihrer Realgröße scheinbar im Raum schwebend, größtenteils nackt, kämpferisch, überlegen, doch verfügbar, an den Gesichtszügen zu erkennen, doch mit identi tätsv errätselnden Attributen außereuropäischer Kulturkreise. Der Fingerzeig der Johanna (2002 – 03) wies gen Himmel, was ihr Büstenhalter relativierte. Stipendiat Erik Schmidts Fotos und Plakate Suit and Tie und sein Film Suitwatcher’s Anonymous (2002) thematisierten Accessoires der Männlichkeit, die heute dem Mann von Welt als Machtattribute dienen und eine Anziehungskraft besitzen, die leicht dem Anspielungshorizont des Sado-Masochistischen verfällt – der (Maß-)Anzug als moderne Rüstung mit trügerischer Oberfl äche. Voyeurismus und Gruppenzwang der Geschäftsund Juppiewelt traten zutage. Måns Wrange erstellte auf Grundlage statistischer Daten das Profil des schwedischen Durchschnittsbürgers The Average Citizen (seit 1999) – Marianne, weiblich, vierzig Jahre, ledig, mit bestimmter Schulbildung und Einkommensklasse –, suchte dafür eine Entsprechung in der Realität, befragte sie nach ihren Ansichten und ließ – um demokratische Manipulationsstrategien zu durchleuchten – die originellsten über Lobbyisten mit Medienwirkung streuen, auf dass sie vom «Durchschnittsbürger» wieder geteilt würden. Mit Drucken und Radierungen baute Sarah Lewtas im selbstgebundenen, interaktiven Leseobjekt Superman (2003) – die Seiten waren auseinanderzieh- und zusammenfaltbar – eine zukünftige humane Welt. Mit roter Tinte auf Schreibpapier erfand Bea Emsbach in den Zeichnungsserien Beutezüge im Bodensatz der Wissenschaften, Netze fl echten und Die Anthropologin zuhause (alle 1996 – 2003) androgyne, manipulierte, mutierte Wesen, an Schläuche und Apparate angeschlossen, in Bäumen oder Blutkreisläufen nabelschnurartig miteinander verbunden und gleichzeitig aneinandergekettet: Verweise auf das in Medizin und Biotechnologie bereits Mögliche? Ein infolge eines Bombenangriffs äußerlich beschädigtes Buch mit Blumenillustrationen (Faksimile) der Belfaster Kunstbibliothek hätte der Feuerversicherungsfirma zufolge noch vernichtet werden sollen, da man es ja durch ein neues ersetzt habe. Oona Hyland gelangte in dessen Besitz, versah leere Seiten mit Aquarellen mensch licher Organe – The Most Beautiful Flowers (2003). Andrea Dietrich, Julia Draganovic und Ulla Seeger (alle Weimar) wählten die Stipendiaten Erik Schmidt, Biljana Djurdjevic und Bjargey Ólafsdóttir aus. Letztere brach das Programm ab.

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