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  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
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Ausstellungen

Das Urwortmuseum

Ausstellung Fr., 27.10.1995–So., 10.12.1995

Das Urwortmuseum

Lesedauer etwa 2:13 Minuten

1. EUROPÄISCHES ATELIERPROGRAMM 1994 ≪ALLEGORIEN≫ | ACC GALERIE WEIMAR

Harald Fetveit (NO) / Elizabeth-Jane Grose (GB) / Bettina Hoffmann (DE) / VSSD: Alen Ožbolt, Janez Jordan (SI)

Programmleiter: Norbert Meyn (Weimar)

Johann Gottfried Herder schrieb: «Es gibt eine Symbolik, die allen Menschen gemein ist – eine große Schatzkammer, in welcher die Kenntnisse aufbewahrt liegen die dem ganzen Menschengeschlechte gehören.« Und: «Kein Volk, mein Freund, das je zu einiger Cultur gelangte, konnte bildlicher Vorstellung entbehren; die Sprachen der Wilden selbst sind voll von Allegorien…»

Elizabeth-Jane Groses Fotoserie Field Glasses (1994) bildete eben nicht wörtlich Feldstecher ab, sondern eine Zusammensetzung aus «Field» (Feld) und «Glasses» (Brille) – porträtierte Brillenträger, deren Augengläser mit Kornähren geschmückt waren. Ähnlich die Objektserie False Friends (1995), deren Exponate trotz im Deutschen wie Englischen gleicher Buchstabenfolge verschiedene Bedeutungen haben (Hut/Hütte, Hose/Schlauch, Rock/Gestein, Boot/Stiefel). Ein T(ea)-Shirt war aus Tee-Aufgussbeuteln handvernäht und das Bulb-Field (1995) kein Feld aus Tulpenzwiebeln, sondern strahlenden Glühbirnen. Beim Foto Invest: Justin (1994) stand das Verb für «investieren», aber auch für «in der Weste» – die war bei Justin aus Financial-Times- Zeitungspapier. Underwhere: Sonja (1994), bekleidet mit Unterwasche aus Landkarten, hieß nicht «Underwear», sondern war geografisch als «unterhalb» zu deuten. Für ihr Vorhersehbares Experiment zur Untersuchung der Identität des Individuums (1995) hatte Grose Hände von sieben Weimarer Bürgern nachgeformt, aus Seife gepresst, in denen sich Passfotos, Haare und Unterschriften befanden, und in Wasser gelegt. Deren Auflösungsprozess wurde dokumentiert, die «Identitatsbeweise» traten hervor. Im Weimarer Stundenbuch (1994) zeichnete Grose.

Mit Claus Bach kombinierte sie im London Project (1995) kitschig illuminierte Kinderspielzeuge mit verschiedenen Körperpartien beider Künstler*innen, woraus Foto-Leuchtkästen entstanden. Das Künstlerduo VSSD (Veš slikar svoj dolg / Kennst Du, Maler, Deine Pflicht) fertigte A Painting of a Painting (1995) für den Slowenischen Pavillon der Biennale Venedig und stellte einen Teil der 96 Gemälde als Bodenmosaik im ACC aus. Zwei Reliefarbeiten bildeten das Objekt Day Time, Night Time (1995). Mit dem vergänglichen, skulpturalen, das Auge verwirrenden Bodengemälde To see or not to see (1995) formte VSSD aus feinstem Sand und weisen Farbpigmenten ein «Space Painting» als sakrifizierten Erlebnisraum der Sinne. Neun Buchunikate (Bellevue, Herz-Schlag, Für die Blinden, Vom Egoismus zum Narzissmus u. a., alle 1995) mit erhabenen weisen, ja blinden Seiten auf DDR-Schulbänken waren wie jene im Lesesaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek – mit W betitelt – zu erfühlen. Harald Fetveit transferierte in Interface III – Private Room (1995) seinen Wohnraum samt aller Fotos seines Aufenthalts in die Galerie und wohnte dort. «Herz deutscher Kultur» und «Herzblut» hatten es ihm angetan – aus Menschenblut goss er ein Modell der Weimarer Innenstadt Interface II – The Heartblood (1995) und platzierte es im Schlossmuseum zwischen dem Modell zum Reiterstandbild Carl Augusts und einer Büste Goethes. Für die Lichtinstallation Interface I – The Field – The Lights (1995) wurden acht Scheinwerfer nachts über ein abgeerntetes Feld oberhalb Schöndorfs verteilt, um es mit rotierenden Lichtkegeln abzutasten. In Bettina Hoffmanns Wand-Comic The Story (1995) erlangten lebensgroße, isoliert und anonym scheinende Zeichenfiguren, in vielfacher Gestalt der Künstlerin, erst als handelnde Personen Identität. Körpersprache und Haltungen zeigten Hierarchien, erzählten etwas, doch die «Story» blieb offen. Hoffmanns Pädagogisches Spielzeug (1992 – 93), ein ausgebranntes Spielzeughaus, thematisierte sarkastisch jüngste deutsche Geschichte. Ihre Hygiene-Objekte (1993) kehrten das als unangenehm Angesehene, verschlossen Praktizierte der körperlichen Alltagsverrichtungen ins Absurde.

Prof. Liz Bachhuber (Weimar), Andrea Dietrich (Weimar), Paul Maenz (Berlin), Klara Wallner (Berlin) und Dr. Klaus Werner (Leipzig) hatten als Juror*innen die Atelierstipendiaten ausgewählt.

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