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  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
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Ausstellungen

erSCHLOSSene Räume

Ausstellung So., 22.08.1993–Do., 16.09.1993

Erschlossene Räume

Lesedauer etwa 3:30 Minuten

WORKSHOP ZUR 4. EUROPÄISCHEN KULTURWERKSTATT SCHLOSS ETTERSBURG

Sólveig Adalsteindóttir (IS) / Alberto Barbieri (IT) / Roddy Bell (NO) / Ulrich Bruppacher (CH) / Pawel Chawinski (PL) / Robin Dance (GB) / Vlasta Delimar (HR) / Renato Galbusera (IT) / Gary Goodman (GB) / Evelyne Iehle (FR) / Ivan Komárek (CZ) / Richard Konvička (CZ) / Bodo Korsig (DE) / Johanna Kovács (HU) / Lorenzo Mazza (IT) / Alexander Nasekin (RU) / Alessandro Papetti (IT) / José Pires Alves (PT) / Varvara Shavrova (RU / GB) / Fotini Stefanidi (GR) / Tea Tammelaan (EE) / Neil Taylor (GB) / Uģis Traumanis (LV)

Programmleiter*innen: Andrea Dietrich, Norbert Meyn, Frank Motz (alle Weimar)

Künstler*innen aus 16 Ländern Europas erschlossen sich das Ettersburger Schloss nahe Buchenwald. Neben dem «Rübenlabor» im Saatenzentrum Schöndorf war es für zehn Tage ihr barockes Atelier.

Für Did you listen to whispers while walking through the woods? (1993) brachte Pawel Chawinski einen faustgroßen runden Stein aus Kraków mit, der, bemalt mit einem Fadenkreuz, wie ein Magnet eine Installation aus südpolnischem blauen Ton, Ettersburger Kieselsteinen und Holzresten zusammenhielt. Mit dem Schlamm der Ilm und alten Pflastersteinen hatte er Papier geschwärzt und strukturiert, spannte es auf Rahmen aus vertrockneten Ästen und stellte die so entstandenen Schirme schützend um seine Steinkreise – ein Mikrokosmos, in dem «aus dem Stoff der Natur ein Stoff der Kunst» geworden war. Ugis Traumanis zauberte Auspuff und raues, rostiges Eisen vom Weimarer Schrottplatz zu einer Skulptur, die wie eine Pflanze von Tag zu Tag neue Knospen und Blüten bildete: farbige Emaillen, die er auf Kupferplatten brannte und auf stählerne Arme montierte. Mit Evelyne Iehle teilte er sich Schweißgerät und Trennschleifer in den Wirtschaftsräumen des Schlosskellers, dessen spiegelnde Fliesen er mit jenen Emaillen imitierte. Iehles Dreiklang aus schwarz gefärbten Holzbalken, flankiert von wuchtigen Metallschienen, formte auf dem Burgplatz einen imaginären Innenraum Territoire de lumiére (1993), eine inverse Skulptur des Hohlraums, der sich mit Licht und Schatten, Wärme und Staub füllte. Johanna Kovács, deren Großvater in Buchenwald umkam, begegnete ihrer Familiengeschichte: Drei skelettartige menschliche Figuren auf einer ihrer Pastellzeichnungen boten trotz ihrer Zerbrechlichkeit ein kraftvolles Gegengewicht, als stützten sie sich gegenseitig, gegen das Verderben. Auf dem linken Flügel des altarähnlichen St. Evestace Triptych (1993), einem Gips-Ton-Relief Neil Taylors, das nun in der Schlosskirche hängt, erinnerte – romantisch verklärt – ein Hirsch mit prächtigem Geweih an den Zeitvertreib der Schlossbesucher früherer Jahrhunderte. Auf dem rechten Flügel symbolisierten Konturen eines nackten Menschen eine neue Dimension – die Tierjagd wurde von der Menschenjagd abgelöst. Seinen eigenen Körperabdruck umgab Taylor mit Abdrucken von Maschinengewehrkugeln, die er in Buchenwald gefunden hatte. Dazwischen, sich vor dem Rad der Zeit voll entfaltend, eine Sonnenblume in Blüte und mit Samenkörnern. Robin Dance fotografierte den sturmgeschädigten Wald zwischen Ettersburg und Buchenwald, auch die Restmauern eines Bunkers des ehemaligen Gustloff-Werks II im KZ (Still Life, Buchenwald: Germany, 1993), und er blickte über das ehemalige Hauptlager Buchenwald (Diptychon Landscape, Buchenwald: Germany, 1993). Bodo Korsig brachte zwei monumentale, bemalte Stoffbahnen mit archaisch anmutenden Zeichen an der ACC-Fassade an. Aus Verpackungskartons formte Gary Goodman zehn infantile, fratzenhafte, teufels- und engelsgleiche Ghosts, shadows and angels (1993). Varvara Shavrovas 16-teilige Serie mit weiser und schwarzer Acrylfarbe übermalter Bleistiftzeichnungen Goethe 1993, vom Dach des Schlosses Ettersburg nach Buchenwald schauend (1993) hielt Geschichte, Kultur und Architektur des Ortes fest. Renato Galbusera collagierte in Per Weimar (1993) als Linolschnitt gedruckte Motive, die an die Kreuzigung erinnerten. Lorenzo Mazza malte The Night of Saint Lawrence, Alberto Barbieri Luogo di confi ne und Luogo di attesa (alle 1993). Der Innenraum auf Alessandro Papettis Acrylgemälde Buchenwald (1993), einer klaren, in seelischer Erregung formulierten Aussage, war gefüllt mit Kriegsgerät, Menschenleibern und Gasmaske, darüber drohte ein Tierschädel. Papettis Reperti (1993) – ein «aufgerissener» Raum als Ort der Verlassenheit und Leere, der dennoch Lichtblicke ins Freie, Ungewisse zuließ. Ulrich Bruppacher stellte neben der unmissverständlichen Stacheldraht-Installation Erschlossener Raum (1993) im Ettersburger Schlosspark auch das Objekt Erschlossener Raum (1993) – ein Holzschrein mit riesigem Knochen – in der Schlosskirche aus. Vlasta Delimars siebenteilige Selbstporträtserie, übermalte s /w-Fotos, verhüllt mit Tüll und Spitze, ging auf Gedichte Goethes und Marina Zvetajevas (1892 – 1941), einer russischen Lyrikerin, zurück. Jose Pires Alves’ abstrakte Mischtechniken (1993) – Bühnen stiller Ereignisse, Plätze der Einsamkeit - erinnerten an Gemälde des Surrealisten Joan Miró (1893 – 1983). Ausblicke vom Schloss zum Pückler-Schlag malte Fotini Stefanidi, wie in Window with pink and blue curtains (1993). Tea Tammelaan komponierte ihr ausladendes, schwebendes Design-Objekt aus Draht und Kunststoff im Weisen Saal, wo auch Richard Konvičkas Mischtechniken Schwarze Göttin, Miss Light, Lächelnde Göttin, Nina und Goethe trifft Nina (alle 1993) entstanden. Sólveig Adalsteindóttir spannte auf einem würfelförmigen Holzfuß Schaumstoffstreifen zwischen zwei senkrechte Holzstäbe – natürliches wie künstliches Material fand sie im Wald zwischen Ettersburg und Buchenwald. Alexander Nasekins Begegnung mit Buchenwald und Ettersburg gipfelte in der Pastellarbeit Chor (1993). Ivan Komárek verschmolz zwei, drei und vier Krüge miteinander zu funktionsuntüchtigen Gebrauchsgegenständen, kombinierte auf deren Außenseiten in Ton geritzte, an Torsi erinnernde Teile weiblicher und männlicher Körper in gewagten, absurden Positionen miteinander, übermalte und brannte sie. Keramik Nr. 4 bildete den Höhepunkt der Vermehrung (1993): Die Gefäßhenkel wuchsen den Figuren aus dem Mund oder bildeten überdimensionale männliche Geschlechtsteile. Roddy Bell wollte mit The White Hall (1993) den «Klang der Zeit» aus 250 Jahren Ettersburger Schlossgeschichte wieder erschaffen: Im Weisen Saal gesammelter Staub, im Kreisrund aufs Parkett gelegt, wurde dafür von der «Nadel» einer einfachen grammophonartigen, mechanischen Apparatur vor Ort abgetastet.

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