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Ausstellungen

Von der Unbestimmtheit - On Indefiniteness

Ausstellung Sa., 31.05.2008–So., 10.08.2008

Von der Unbestimmtheit - On Indefiniteness

Lesedauer etwa 3:27 Minuten

Co-Kurator: Knut Birkholz (NL)

Benjamin Bergmann (DE) / Stefanie Bühler (DE) / John Cage (US) / David Tudor (US) / Maartje Fliervoet (NL) / Pascal Gingras (CA) / Franziska und Sophia Hoff mann (DE) / Marja Kanervo (FI) / Maria Brigita Karantzi (GR) / Nina Katchadourian (US) / Elysa Lozano (US) / Julien Maire (FR) / Luisa Mota (PT) / Julius Popp (DE)

Ob die Natur, der Sternenhimmel, ein Buch oder unser Miteinander: Ordnung und Unordnung, Bestimmtheit und Unbestimmtheit sind unserer Welt zueigen. Die Unbestimmtheit tritt uns wie ein Schatten aus allen Winkeln der Welt entgegen. Je mehr wir investieren, um sie auszuschließen, desto mehr stellen wir fest, wie wenig dies zuweilen nützt. Voraussagen waren einmal vom Mythos dominiert. Die Wissenschaften können sich von ihm nicht frei machen und müssen sich oft mit der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten begnügen, obwohl in berechenbaren Systemen eine klare Kausalität von Ursache und Wirkung als Grundlage für Regeln und Ordnungen vorherrscht. Auch in sozialen Gebilden verursachen wir oft Ereignisse, die den klassischen kausalen Ansätzen das Genick brechen, bis hin zum Zufall, der bekanntesten Form der Unbestimmtheit. «Indeterminacy» (Unbestimmtheit) oder «purposeful purposelessness» (beabsichtigte Absichtslosigkeit) waren bei John Cage zentrale ästhetische und musikpraktische Schlüsselbegriffe. Indeterminacy (1959) von John Cage und David Tudor beinhaltete 90, von Cage verfasste Texte, absatzlange Erzählungen, die er in Vortragsform je nach Geschichte mit wechselnden Tempovorgaben laut vorlas – eine Story pro Minute: Autobiografi sche Anekdoten, Gedanken und Späße, in denen sein Interesse für vielerlei merkwürdige Philosopheme, komische bis irritierend widersprüchliche Erfahrungen in und außerhalb der Kunst, stetig durchschien. Bei den Studioaufnahmen von Indeterminacy befand sich Tudor außer Hörweite in einem Nachbarraum, wo er verschiedenste Klangfragmente aus Cages Werk (nämlich Aufnahmen aus Concert for Piano and Orchestra und Fontana Mix) nach dem Zufallsprinzip auswählte und abspielte. Maartje Fliervoets Rearranged Sunflares (2006) waren Fotogramme aus eingefangenen Sonnenstrahlen, die plötzlich auf die Kameralinse trafen und feste Gestalt annahmen. So untersuchte sie die Abhängigkeit der Fotografie vom Licht, das zu reiner Form wurde, obwohl die wahre Form des Lichts unbekannt ist. Von deutschen Bahnhöfen ausrangierte mechanische Anzeigeobjekte, so genannte Fallblattanzeiger, komponierten Franziska und Sophia Hoffmann zu einem still gestellten, fragmentierten «Tafelbild» namens Moduln Dresden (2005) – bestehend aus 230 Elementen (Moduln) mit jeweils 64 Blättchen – einem Bodenmosaik, das nicht zuletzt aufgrund der ungewohnten physischen Nähe der ebenerdig positionierten Alltagsobjekte dazu einlud, außerplanmäßig Station zu machen und gedanklich die Reise fortzusetzen. Stefanie Bühler verwischte in ihrer Installation Pfützen (2008), einem «Denkmal des Gewöhnlichen», die Grenzen zwischen Natur und Kultur. Pfützen, allbekannt und banal, wirkten hier, als sei ein Traktor durchs Wohnzimmer gefahren. In der Reifenspur hatte sich schimmerndes Wasser gesammelt – sollte man glauben. Bis man merkte, dass dieses Stückchen Natur eine Skulptur aus Erde, Steinen und Kunststoff war. Maria Brigita Karantzis Schiff aus Pappkarton mit Segeln aus Seide, die der Wind kleiner Ventilatoren aufblähte, nahm als The Light of Day (2008) Kurs gen Sonnenuntergang. Die Seefahrt, die unendliche Weite der Ozeane, die sich unserer Kontrolle entzieht und das Unvorhersagbare kommender Ereignisse so faszinierend und abenteuerlich macht, ließ einen von der Sehnsucht nach dem Unbestimmten schwärmen. 1336 wurde der Mont Ventoux vom Dichter Petrarca bestiegen – die Geburtsstunde des Alpinismus. Heute präparieren, prägen und verstellen Reiseführer unseren Landschaftsgenuss, die Erfahrung der Landschaft wird zum Event, was Pascal Gingras in seiner Installation Mont Ventoux – Blick auf Landschaft (2007) thematisierte. Julien Maires Dissolved border (Aufgelöste Grenze, 2008) zeigte als Ausgangsmaterial – unter starker Aufl ösungsreduzierung – ein fotografisches Bild als projizierte, elektronische, abstrakte Landschaft. Ein von Maire selbst konzipierter und gebauter Spezialprojektor kam dabei zum Einsatz, bestehend aus zwei schwarz-weißen Liquid Crystal Displays (LCD), die mit nur 32 x 96 Pixeln eine extrem geringe Aufl ösung hatten und innerhalb des Projektors in Bewegung waren, wodurch Schärfen und Unschärfen sich in stetem Wechselspiel ablösten. Die horizontale Linie oder auch Grenze erschien auf beiden Displays zerschnitten. Ein Display gab jeweils die untere bzw. die obere Hälfte des Bildes wieder. Indem sich das Bild zwischen hoher und niedriger Auflösung (Entflechtung) bewegte, war seine Erstellung vergleichbar mit der eines geometrischen abstrakten Gemäldes. macro.flow (2008) von Julius Popp war der Prototyp einer Forschungssonde zur Untersuchung der Ungewissheiten im Weltenlauf, zur dynamischen, unvoreingenommenen Neuvermessung der Welt (unabhängig von politischen oder geografischen Grenzen, umweltklimatischen Bedingungen, ökonomischen Ressourcen, soziokulturellen Systemen oder Sprachfamilien). Er sollte als nomadisches Observatorium weltweit in großer Anzahl ausgesetzt werden, um die Wasserströmungen und Eisdrifte in Ozeanen, Flüssen und anderen Gewässern zu untersuchen. Der Roboter würde wie ein Einzeller «leben», der durch Interaktion mit seiner Umgebung Energie aufnimmt (ruht die Umwelt, ruht das Gerät). Seine Reise würde per Satellit vermessen und per Computergrafi k als unvorhersehbares Liniensystem dargestellt werden, um ein Alternativmodell unseres Planeten, ein neues Weltbild zu erzeugen und die Bedeutung des traditionellen Behaim-Globus (Nürnberg 1492) und seiner Nachfolger zu hinterfragen. Erblickte man irgendwo eine unscheinbare Pappkiste mit offenen Deckeln, so ließen sich in wechselnden Intervallen Blitze ausmachen, die wie ein Thunderstorm (2006) – von Benjamin Bergmann – aus ihrer mit zerknittertem Packpapier gefüllten Tiefe kamen. An der Wand eines anderen Raumes befanden sich ein Sicherheitsgurt für Besucher zum Anschnallen und ein kleines Holzpodest – für den erhöhten Standpunkt mit freiem Blick, wenn das Ende der Welt (2008) naht. Womöglich nimmt die Welt in den letzten Stunden noch einmal ordentlich Fahrt auf, wie es Kugeln eben so zueigen ist?

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