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Künstler*innen

Tsuyoshi Anzai, Bild: privat

Tsuyoshi Anzai

JP, geboren 01.01.1987

Lesedauer etwa 5:51 Minuten

Der Tokioter Tsuyoshi Anzai, erster Stipendiat des 25. Internationalen Atelierprogramms von ACC und Stadt Weimar (*1987/Japan) und ab März Gast der Stadt Weimar, verbindet auf beeindruckende Weise multimedial konzeptuelle Richtungen subversiv miteinander, darunter Parodien von Werbeplakaten und Verpackungen, den Bau von kinetischen und selbstzerstörerischen Skulpturen sowie Performancekunst und mehr. Ihn interessiert das Verhältnis des Menschen zu (seinen) alltäglichen Objekten. Indem er Alltagsgegenstände auf improvisierte Weise zu autonomen Maschinen verbindet, versucht er "Das Außerhalb unserer Kontrolle" in einen Dialog mit uns zu bringen. In seinem Forschungsprojekt #TagLife sucht er Parallelen zwischen den Werbestrategien kapitalistischer Gesellschaften und den Propaganda-Plakaten totalitärer und sozialistischer Gesellschaften. Dazu stellt er historische Fotografien Weimars der 1930er bis 1980er mit Schriftzügen und Slogans der Verpackungen unserer Konsumgüter zusammen, um eine Diskrepanz von Text und Bild zu schaffen.

Können Worte Maschinen sein? 

Zu den #TagLife-Postern und anderen Arbeiten von Tsuyoshi Anzai
von Torsten Blume

1. Vom mechanischen Trick zur Alles-Maschine

Ursprünglich bezeichnete der Begriff „Maschine“, der sich über das lateinische „machina“ aus dem altgriechischen μηχανή „mēchanḗ“ entwickelt hat, eher ein Werkzeug oder eine künstliche Vorrichtung, vor allem aber die Art und Weise in der sich ein Ziel mit einem Trick oder durch geeignete Hilfsmittel erreichen, oder ein Problem lösen ließ. In diesem Sinne galten Maschinen bis in die frühe europäische Neuzeit als Vorrichtungen, aber vor allem als Verfahren, für das Erzeugen von ungewöhnlichen und überraschenden Effekten. Besonders eindrücklich kam diese Interpretation im Theater zur Erscheinung, wenn wie in antiker Tradition auf der Bühne durch eine inszenierte göttliche Einwirkung alle vorangegangenen dramatischen Konflikte ganz plötzlich und unvermittelt aufgelöst und alle offenen Fragen durch einen „Gott aus der Maschine“ („Deus ex Machina“ / griechisch: „apò mēchanḗs theós“) beantwortet werden. Die heutigen Menschen geläufige Vorstellung, nach der Maschinen gebaute Apparate sind, die im konstruierten Zusammenwirken ihrer Elemente auf andere Elemente und Stoffe physikalisch einwirken, hat sich erst allmählich entwickelt, wesentlich bedingt durch das Aufkommen von wissenschaftlicher Physik und Mechanik. Heute wirken maschinelle Strukturen als Technosphäre – in Verbindung mit digitalen Algorithmen und den Möglichkeiten der Programmierung auch auf atomarer und genetischer Ebene – so tiefgreifend und weitreichend, dass der Begriff der Maschine wieder vieldeutig und offen wird. Wenn alles maschinell wird, bzw. mit Maschinen bearbeitet werden kann, was ist dann NICHT maschinell? Was bedeutet es, wenn sich der Mensch selbst als Maschine interpretieren und als Cyborg weiterdenken kann; wenn es möglich ist, dass Wissenschaftler*innen Organismen, Zellen und Gene wie biologische Apparate und „Maschinen“ untersuchen und behandeln, oder wenn ganze gesellschaftliche Strukturen als „Staatsapparate“ und technologische Systeme gedacht werden können? Welchen Sinn und vor allem welche Handlungsperspektiven eröffnet der Begriff der „Maschine“ dann noch, wenn er bis zur „Alles-Maschine“ ausgeweitet werden kann? Ist „Maschine“ nicht längst schon ein sinnloses Wort?

2. Sinnlos sinnliche Maschinen

Tsuyoshi Anzai stellt sich diese und ähnliche Fragen, wenn er seine medialen Installationen und Assemblagen sowie Maschinen und maschinellen Konstellationen entwickelt, deren Zweck das Umdeuten gewohnter Wahrnehmungen ist. Dabei belebt er für sich noch einmal die antike Ursprungsbedeutung des Wortes und entwirft immer wieder neue trickreiche Verfahren und Apparaturen, gewissermaßen als absurde neo-antike Maschinen. Wenn in Installationen wie „reinventing the Real“ (2015) oder „Inaccessibility“ (2019) Teile von Küchen- oder Reinigungsgeräten, Gabeln oder vielleicht Zahnbürsten in einer kinetischen Apparatur zusammenwirken, dann haben sie ihre frühere Bedeutung verloren. Die wackelnden, kippenden, sich drehenden Dinge, die sich miteinander oder gegenseitig in Bewegung setzen, verkörpern etwas Neues, dessen Sinn und Bedeutung Anzai nicht definiert hat und definieren will. Zugleich aber eröffnen die kinetischen Mechanismen neue Assoziationsmöglichkeiten und Interpretationen. Spielerisch forschend gestaltet Tsuyoshi Anzai so Versuchsanordnungen, in denen er merkwürdige maschinelle Geister zur Erscheinung bringt. Aber einen „Gott aus der Maschine“, der erklärt, was geschieht, geschehen könnte oder sollte, gibt es bei ihm nicht. Seine kinetischen Objektassemblagen wirken mit ihrer ganz eigenen technischen Funktionslogik wie gestische oder exzentrisch-akrobatische Apparaturen. Sie ließen sich auch als die Schlussszenen von Bühnenstücken beschreiben, in denen der „Geist aus der Maschine“ jedoch nicht nur keine Lösung anbietet, sondern vielmehr die Sinnhaftigkeit des ganzen Stückes prinzipiell in Frage stellt. So verhandelt Anzai die Fragwürdigkeit einer Technosphäre, in der die Apparate eine eigene Lebendigkeit entwickeln, von der kaum mehr zu wissen ist, ob sie in Bezug auf die Menschen Gutes oder Schlechtes bewirken. Darin ähneln sie vielleicht Geistern aus der japanischen Mythologie, den „Yokai“, die alte zuvor lange benutzte, weggeworfene oder vergessene Haushaltsgegenstände sind. Diese „Yokai“ suchen die Menschen als Geister heim, sie verkörpern aber auch Seins- und Sinndimensionen aus einem Parallel-Universum, in dem alle gewohnten Parameter von Nützlichkeit und Funktionalität nicht gelten. So verhandelt Tsuyoshi Anzai die Frage nach dem Sinn des Maschinellen als eine offene, lädt aber gleichwohl dazu ein, sich an die Ursprungsbedeutung des trickreichen Agierens zu erinnern und es doch noch einmal auszuprobieren. Obwohl seine Maschinen als Darsteller von Sinnlosigkeit auftreten, sind sie doch immer fein abgestimmte, sinnlich-attraktive Gefüge und abenteuerliche Konstellationen und Agenten der Neugier. Als sinnlos sinnliche Maschinen zelebrieren sie die Neugier auf das Unverhoffte und die Freude an den Tricks, die ja vielleicht doch noch etwas Interessantes eröffnen könnten.

3. Bilder- und Wort-Mechane

Auch die #TagLife-Poster, die während der Künstlerresidenz in Weimar entstanden sind, lassen sich so als Repräsentationen eines solchen technischen Tricks im antiken Maschinen-Wortsinn beschreiben. Wie in anderen Projekten von Tsuyoshi Anzai basieren auch sie auf der Herstellung von Zusammenhängen von bislang unverbundenen Dingen und Phänomenen. Mit dem Unterschied, dass die von ihm dazu gefundenen Dinge diesmal nicht plastische Objekte, sondern Bilder und gedruckte Worte sind. Den Ausgangspunkt bildete die Faszination für historische politische Propaganda-Poster aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Staatssozialismus der DDR, die längst aus den öffentlichen Räumen verschwunden sind. An ihre Stelle getreten ist eine überaus präsente Werbeindustrie mit Reklamepostern und Anzeigen, die darauf zielen, möglichst viele menschliche Bedürfnisse wirtschaftlich zu verwerten. Im Vergleich lässt sich leicht erkennen, dass nicht nur die Verfahren und Mittel der Propaganda und der Werbung in vielerlei Hinsicht ähnlich sind, wenn Bild-Text-Poster als Displays verwendet werden, in denen Texte und Bilder mit dem Ziel maximaler psychologischer Effekte montiert werden. (siehe Fußnote 1) In seinen #TagLife-Postern führt Tsuyoshi Anzai die zusammengetragenen Bilder, Schlagzeilen und Überschriften in absurden, aber dennoch wirkungsstarken Montagen zusammen – ganz in der von Molzahn propagierten Wirkungsmechanik. Historische politische Propaganda-Bilder und aktuelle Werbe-Slogans sowie zeitgenössische Werbefotografien und agitatorische Schlagzeilen aus Nationalsozialismus und DDR-Sozialismus benutzt Tsuyoshi Anzai wie einzelne Maschinen bzw. Bild- und Wort-Apparaturen. Indem er sie in den #TagLife-Postern grafisch zusammenfügt – man könnte auch sagen zusammenschaltet – entwickeln sie neue, unvorhersehbare Wirkungen. Jedes von ihm verwendete Motiv, jede Schlagzeile ist ja ursprünglich als eine Art verdichtete sprachlich-visuelle Effekt-Maschine oder als Bild-Wort-Apparat entwickelt worden. In den #TagLife-Postern treffen ihre Energien nun ganz anders als ursprünglich intendiert aufeinander. Ein Schriftzug wie „Niemand begrenzt mich.“, der gestaltet worden ist, um damit Produkte für die individuelle kreative Betätigung zu bewerben, wirkt im Anschluss an Johannes Molzahn als „Wort-Mechane“ oder Wort-Maschinismus, wenn er auf ein nationalsozialistisches Plakatmotiv trifft, dass Adolf Hitler als „Führer“ zeigt. In dieser Konstellation kippen sowohl die ursprünglichen Bedeutungen des Bildes, als auch der Wortgruppe in etwas Neues und Anderes, das neue Deutungen auszulösen vermag. Die #TagLife-Poster lassen sich zwar durchaus auch als grafische Assemblagen beschreiben; im Kontext der künstlerischen Arbeitsnormen von Tsuyoshi Anzai erscheinen sie aber vor allem als eine Fortsetzung seiner maschinellen Konstruktionen, in denen er vormals kontrollierte Bedeutungen, Sinnzuschreibungen und Funktionalitäten in technischen Prozeduren mechanisch-trickreich auflöst. Um letztlich möglichst offen Assoziationen und Interpretationen frei zu setzen, ohne dass er das, was dann geschieht, selbst noch kontrollieren könnte oder wollte.

Fußnote 1: Im Grunde lassen sich Poster auch als visuelle „Apparaturen“ oder maschinelle Anlagen beschreiben, mit denen menschliche Wahrnehmung und Verhalten beeinflusst, gelenkt oder gar gesteuert werden soll. 1926 hatte der Künstler und Werbegrafik Johannes Molzahn in seinem Aufsatz „Ökonomie der Reklame-Mechane“ auf diese Interpretation von Propaganda und Werbung als maschinelles Verfahren in der antiken Ursprungsbedeutung des Wortes „Maschine“ als „Mechane“ hingewiesen. Molzahn meinte, dass grafische und visuelle Darstellungen, die der Werbung und Propaganda dienen, als „optische Mechane“, d.h., als optische Maschinen aufgefasst werden müssten, deren Wirkungsgrad durch die Optimierung der visuellen Wirksamkeit auf der Basis von Reklame-Wissenschaft und psychologischer Forschung gesteigert werden könnte. Denn, so Molzahn: „Die ästhetische Form ist hier genau wie bei der Maschine nur das Resultat vollkommener Konstruktion mit dem Ziel höchster Leistungsfähigkeit.“ (Johannes Molzahn, „Ökonomie der Reklame-Mechane, in Die Form. Zeitschrift für gestaltende Arbeit, Jg.1, H.7, 1926, S.141-145, hier S.143)

Torsten Blume ist wissenschaftlicher und künstlerischer Mitarbeiter der Stiftung Bauhaus Dessau. Er ist Kurator, Szenograf und Choreograf. Seit 2007 entwickelt er in dem Projekt „Play Bauhaus“, Tanz- und Bewegungsinstallationen, Workshops und Ausstellungen mit dem Ziel, die Bauhausbühne als ein spielerisch-forschendes Format des Experimentierens neu zu entdecken.

Der Beitrag ist der Publikation „Sprach|er|neu|er|ung + Wort|bild|kunst. Journal ACC Galerie Weimar 08|2019 – 05|2020“ entnommen.

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