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Künstler*innen

Vik Muniz: The Weimar File, 2004.

Vik Muniz

Lesedauer etwa 2:51 Minuten

„Death of Loyalist Militiaman Frederico Borrell Garcia, After Robert Capa“, 2004.
Vik Muniz hat in Death of Loyalist Militiaman Frederico Borrell Garcia, After Robert Capa (2004; auch als Plakat in der Ausstellung erhältlich) aus Plastikkinderspielzeug das wohl berühmteste Kriegsreportagefoto in seinen Umrissen nachgestellt und fotografiert. Der Fallende Soldat (vollständiger Titel: Loyalist Militiaman at the Moment of Death, Cerro Muriano, September 5, 1936) ist eine Aufnahme der Fotografenlegende Robert Capa, den vor allem seine Bilder aus dem Spanischen Bürgerkrieg unsterblich machten, gemacht am 5. September 1936. Gemeinhin wurde angenommen, dass sie den Tod eines Republikaners zeigt, genauer eines Soldaten der Iberischen Föderation der Libertären Jugend (FIJL) im Kampf gegen die Franco Truppen während des Spanischen Bürgerkriegs. Der Soldat auf dem Foto wurde später als der anarchistische Milizionär Federico Borrell García bezeichnet. The Falling Soldier scheint den republikanischen Soldaten im Moment des Todes eingefangen zu haben. Der Soldat wird nach hinten geschleudert, nachdem er tödlich in den Kopf geschossen wurde. Sein Gewehr rutscht aus seiner rechten Hand. Der abgebildete Soldat ist in Zivil gekleidet, trägt aber einen Lederpatronengürtel. Nach ihrer Veröffentlichung war die Fotografie eine der bekanntesten, die jemals gemacht wurde, aber seit den 1970ern gab es erhebliche Zweifel an ihrer Authentizität aufgrund des Ortes der Aufnahme, der Identität ihres Gegenstands und der Entdeckung von inszenierten Fotografien, die gleichzeitig am selben Ort aufgenommen worden waren. Capa beschreibt in einem Radiointerview von 1947, wie er das Foto aufgenommen hat: «Ich war dort mit ungefähr zwanzig Milizionären im Graben … Ich habe nur meine Kamera über meinen Kopf gehalten, selbst gar nicht geschaut und auf den Auslöser geklickt, als sie über den Graben zogen. Und das war alles. … Die Kamera, die ich über meinem Kopf hielt, hatte gerade einen Mann erwischt, als er erschossen wurde. Das war wahrscheinlich das beste Bild, das ich je gemacht habe. Ich habe das Bild nie im Sucher gesehen, weil die Kamera so weit über meinem Kopf war.» Nach der Veröffentlichung des Fotos gab es Vorwürfe von der Falange, einer extrem nationalistischen politischen Gruppe in Spanien, dass das Foto inszeniert sei. Außerhalb Spaniens blieb es jedoch bis in die 1970er als «echte» Dokumentarfotografie unbestritten. Im Buch Shadows of Photography aus dem Jahr 2009 kommt dessen Autor José Manuel Susperregui zu dem Schluss, dass das Foto nicht in Cerro Muriano aufgenommen wurde, sondern an einem anderen Ort, etwa 48 km entfernt. Susperregui bestimmte den Standort des Fotos, indem er den Hintergrund anderer Fotografien aus derselben Sequenz wie dem Fallenden Soldaten untersuchte, auf denen eine Bergkette zu sehen ist. Er emailte dann Bilder an Bibliothekare und Historiker in Städten in der Nähe von Cordoba und fragte, ob sie die Landschaft erkennen würden, und erhielt eine positive Antwort aus der spanischen Stadt Espejo. Weil Espejo weit von den Kampflinien entfernt war, als Capa sich dort aufhielt, argumentierte Susperregui, dass der Fallende Soldat eine gestellte Aufnahme sei, so wie alle anderen Fotos der gleichen Serie, von denen man angenommen hatte, sie wären an der Front entstanden.

„Die Akte Weimar“, 2004.
Als Vik Muniz nach 9/11 einst persönlich vom Department of Homeland Security in New York verhört wurde, nutzte er die kafkaeske Situation und unangenehme Erfahrung dieses Vorfalls als Inspiration und Ausgangspunkt: Während eines ACC-Aufenthalts 2004 machte Vik Muniz Tausende Fotografien von Objekten, die er ihres historischen Charakters zu berauben versuchte, um sie mit einer neuen, fesselnden Qualität auszustatten. Eine Auswahl von 450 Bildern wurde 2007 im New Yorker MoMA PS1 zur Einladung, über die Absichtlichkeit und Bedeutsamkeit von Fotografie nachzusinnen. Wahrgenommen über eine Folie aus Angst und Verdacht, scheinen sich die Bilder nach einer Balance zwischen Banalem und Spektakulärem, Todernstem und Absurdem zu sehnen. Als Fragmente visueller Indizien werfen sie Fragen danach auf, welche Bedeutung derlei Bilder bekommen und wann sie aus ihrem Kontext gerissen wurden. Die Akte Weimar ist eine Zusammenstellung offener Aspekte und vergessener Phrasen, die alles der Vorstellungskraft und Erfahrung des Betrachters überlässt, der sich Ordnung und Bedeutung selbst zusammenstellt. Ziel des Werks ist es, den Betrachter mit demselben schöpferischen Impuls derer auszustatten, die rohe Daten in der realen Welt analysieren, um ihm unsere Abhängigkeit von gefälschten Erzählungen und unseren Hang zu paranoiden Fantasien bewusst zu machen. „The Weimar File“ ist als Buch (Ivorypress / LiberArs-Serie, Englisch / Spanisch, 240 Seiten, mit Muniz’ Einführung zur Serie, die in unserer Ausstellung in deutscher Übersetzung vorliegt, ISBN 9788494053580) erschienen und wäre ideal für eine Weimarer Kunstsammlung.

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