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Atelierprogramm

Jenseits der Sehnsucht

Jenseits der Sehnsucht

16. Internationales Atelierprogramm der ACC Galerie und der Stadt Weimar

Lesedauer etwa 3:48 Minuten

Contact/Kontakt:
studioprogram@acc-weimar.de

Die neuen Stipendiaten des Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie Weimar und der Stadt Weimar wurden durch eine internationale Kunstfachjury ausgewählt.

Weimar wird im kommenden Jahr wieder gastgebende Stadt für drei internationale Künstler sein, die im Rahmen des Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie Weimar und der Stadt Weimar eingeladen werden. Das Internationale Atelierprogramm ist das einzige Artist-in-Residence-Programm dieser Art in Thüringen und jährt sich 2010 zum 16. Mal.

Aus 315 Bewerbungen von Künstlern aus 58 Ländern hat eine internationale Fachjury, die am 10. und 11. Dezember 2009 in der ACC Galerie tagte, die Künstler Leila Tschopp (Argentinien), Kathrin Schlegel (Niederlande, Deutschland) und Christoph Ziegler (Deutschland) ausgewählt. Die Jury setzte sich zusammen aus der in Brüssel lebenden griechischen Kuratorin und Kunstkritikerin Katerina Gregos, dem in Wuppertal und Forcalquier (Frankreich) lebenden US-amerikanischen Kunstkritiker, Kunstberater, Herausgeber und Kurator David Galloway, dem dänischen Direktor des Heidelberger Kunstvereins Johan Holten, der in diesem Jahr mit dem ADKV ART COLOGNE Preis für Kunstvereine ausgezeichnet wurde sowie dem Berliner Künstler Henrik Schrat.

Für jeweils vier Monate werden die Gastkünstler im Städtischen Atelierhaus leben und sich mit dem aktuellen Programmthema "Jenseits der Sehnsucht" auseinandersetzen. Leila Tschopp, geboren 1978, lebt in Buenos Aires und möchte in Weimar ihre Installationen und Wandmalereien in Verbindung mit dem Bauhaustheater und der Avantgarde im Argentinien der 1930er und 1940er Jahre weiterverfolgen. Kathrin Schlegel, geboren 1977, lebt in Amsterdam und wird eine ortsspezifische Installation anhand widersprüchlicher Begriffsdefinitionen und Untersuchungen zum Thema "Jenseits der Sehnsucht" erarbeiten. Christoph Ziegler, geboren 1973, lebt in Hamburg und möchte eine Art Kiosk bauen, der als Schnittstelle zwischen Utopie und "Realraum" erlebbar sein soll.

Das Programm setzt sich mit der Sehnsucht - einem beglückenden, aber auch schicksalhaften Gefühl - auseinander. Von alters her haben Menschen sich nicht nur nach dem idealen Partner oder der perfekten Gemeinschaft, sondern auch nach besseren Welten und gerechteren Gesellschaften gesehnt. Was aber steckt hinter jener "Krankheit des schmerzlichen Verlangens" (Jacob und Wilhelm Grimm), die dem Menschen oft lieber ist als deren Erfüllung? Was liegt jenseits dieser Sehnsucht? Ein fruchtbringendes Hinterland oder ein Friedhof unseres unbefriedigten Begehrens? Wie sieht jenes Unerreichbare aus, das "ewige Zuhause" (Joseph von Eichendorff), zu dem kein Kompass der Welt uns führen kann, zu dem der Mensch jedoch als Reisender in unendlicher Sehnsucht unterwegs durch die Welt ist? Ist es das Streben nach dem Unerreichbaren, was dem Leben Sinn gibt, schöpferische Kraft entwickelt, für Widerstand sorgt? Dies werden die Programmteilnehmer untersuchen und ergründen.

Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen … und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem Meer. Antoine de Saint-Exupéry

Das Ersehnte ist immer anderswo. Die Sehnsucht nach Erfüllung, Überwindung, Perfektion, dem Licht, dem Paradies, dem Wunderbaren, ist ein beglückendes, aber auch schicksalhaftes Gefühl. Seine Poesie "wiegt sich zwischen Erinnerung und Ahnung" (August Wilhelm Schlegel). Von alters her haben Menschen sich nicht nur nach dem idealen Partner oder der perfekten Gemeinschaft, sondern auch nach besseren Welten und gerechteren Gesellschaften gesehnt. Was aber steckt hinter jener "Krankheit des schmerzlichen Verlangens" (Jacob und Wilhelm Grimm), die dem Menschen oft lieber ist als deren Erfüllung? Was verbirgt sich hinter jener köstlichen, innigen oder durchaus leidvollen, wenn nicht gar vergeblichen Sehnsucht nach einer Person oder Sache?

In den politischen Umwälzungen in Ostdeutschland, die sich 2009 zum zwanzigsten Mal jähren, lag für viele ihrer Protagonisten für eine zunächst unbestimmte, später sehr begrenzte Zeit die Sehnsucht nach einer neuen politischen Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die jedoch bald von der Realität eingeholt wurde, weil der reale Prozess der Vereinigung beider deutscher Staaten sich äußerst rasant vollzog. Das Verlangen nach einem politischen Wandel wurde mehrheitlich vom Verlangen nach Konsum und Kaufkraft überschattet, die Sehnsucht wurde zum endlichen, "leeren Wunsch, die Zeit zwischen dem Begehren und Erwerben des Begehrten vernichten zu können" (Immanuel Kant). Eine unendliche Sehnsucht jedoch, die keine Grenzen mehr kennt, entgrenzt ist, visiert etwas Unerreichbares, nahezu Unbestimmtes an.

Wenn uns bewusst wird, dass unsere vielmals grenzenlosen Wunschvorstellungen nie zur Gänze in Erfüllung gehen, sondern auf Grenzen stoßen, dass es so etwas wie eine "Endstation Sehnsucht" gibt: Was liegt dann jenseits dieser Sehnsucht? Ein fruchtbringendes Hinterland oder ein Friedhof unseres unbefriedigten Begehrens? Wie sieht jenes Unerreichbare aus, das "ewige Zuhause" (Joseph von Eichendorff), zu dem der Mensch als Reisender in unendlicher Sehnsucht unterwegs durch die Welt ist? Lohnt es sich überhaupt, sich auf die Reise nach jenem fernen Terrain zu machen, zu dem kein Kompass der Welt uns führen kann? Oder ist es das Streben nach dem Unerreichbaren, was dem Leben Sinn gibt, schöpferische Kraft entwickelt, für Widerstand sorgt? Thomas Hobbes stellte fest, dass Sehnsucht der elementare Antrieb allen menschlichen Handelns ist. Als Hauptinhalt des Lebens ist die Sehnsucht die oft unterschätzte, weil treibende Kraft jeglicher Weiterentwicklung - zum Beispiel jene Sehnsucht nach organisiertem Widerstand.

Einer derer, die versucht haben, ihre Sehnsüchte tatsächlich in die Praxis umzusetzen, obwohl er um die Ungewissheit ihrer Erreichbarkeit wusste, ist der weithin unbekannte Jurist Christian Gottlieb Priber (1697-1748) aus Zittau (Deutschland). Als Ethnologe, Frühaufklärer und Sozialutopist schuf er mit seinem Entwurf eines idealen Gemeinwesens im 18. Jahrhundert das einzige uns bekannte Beispiel einer weltlichen Utopie unter einer Vielzahl religiöser Kommunen, obwohl er seine Republik, vielleicht in polemischer Absicht gegenüber den Frommen, "Königreich Paradies" nannte. Weil er wegen seiner Ideen und Sehnsüchte unter Beobachtung stand, verließ Priber in den 1730er Jahren seine Familie und floh über London nach Amerika, wo er von den Cherokee-Indianern aufgenommen wurde. Erst dort fand er Gleichgesinnte, die das Sozialexperiment nach seinen Maximen leben wollten. Nach wenigen Jahren geriet Priber in die Gefangenschaft der britischen Kolonisatoren, die seinem Paradies ein Ende bereiteten. Er starb in Haft, das Manuskript seiner ersehnten Republik - "Kingdom Paradise" - ist seither verschollen.

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