Terra Nullius
Ausstellung Di., 27.01.2009–So., 22.03.2009
Lesedauer etwa 3:21 Minuten
27. Januar - 22. März 2009
Vernon AH KEE / Tony ALBERT / Richard BELL / BOAT-PEOPLE.ORG / Jon CAMPBELL / Destiny DEACON & Virginia FRASER / Julie DOWLING / Tina Fiveash / George GITTOES / Claire HEALY & Sean CORDEIRO / Gordon HOOKEY / Dianne JONES / Mike PARR / PVI COLLECTIVE / Tony SCHWENSEN / Merran SIERAKOWSKI / SODA_JERK / SQUATSPACE / Natascha STELLMACH / Judy WATSON
Eine Ausstellung der ACC Galerie Weimar, co-kuratiert von Deborah Kelly (Sydney).
Die britische Krone deklarierte Australien einst als «terra nullius», unkultiviertes, leeres Niemandsland, das keiner anerkannten Macht untersteht und deswegen besiedelt und kolonisiert werden dürfe. Damit sprach sie den indigenen Völkern jegliches Recht auf ihr Land ab – eine Regelung, die bis 1992 ihre Gültigkeit behielt. Der Konflikt mit den indigenen Völkern ist bis heute unzureichend gelöst. Die Ausstellung, eröffnet am 221. Jahrestag der europäischen Invasion in Australien, hinterfragte politische Unstimmigkeiten im Land und das idyllische Konstrukt vom offenen Einwandererstaat ebenso wie sie soziale Ausgrenzungen aufgrund kultureller Unterschiede sowie die Vertretung der Interessen der indigenen Völker und die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik untersuchte. Jon Campbells Beitrag zur Debatte um die australische Identität war eine Yeah-Flagge (2006), die dem positiven «can-do»-Geist der Australier mit umgangssprachlichem Sentiment entsprechen und per Petition ihren Siegeszug aufs Dach des Parlaments antreten sollte. Zwei in den Himmel strahlende Frauen, umgeben von Goldakazien, die für Patriotismus und australische Identität stehen, ließen auf Tina Fiveashs Fotografie Springtime! (1996) die Ästhetik der Tourismuswerbung der 1950er wiederaufleben und blickten – wie die von John Howard geführte Nation – nostalgisch zurück auf Reinheit und Heldenmut jener Zeit in einem einfacheren, weißeren Land. Die Rauminstallation der boat-people.org, Oztalgie (2009), mit Erinnerungsstücken und Dokumentationen ihrer Protestaktionen gegen die Regierung John Howards und deren Dämonisierung von Asylsuchenden unter Ausnutzung der Fremdenfeindlichkeit Australiens – einer selbst aus Einwanderern hervorgegangenen Nation – , nahm im 1950er-Wohnambiente Bezug auf Howards Wahlansprache 1996 für ein «entspanntes und komfortables» Australien, der das innige Verlangen des Premiers innewohnte, das Land in die konservativen 1950er zurück zu katapultieren. Historische «Porträtfotografien» aus Staatsarchiven und ethnologischen Sammlungen weißer Völkerkundler, oft die einzigen Fotos verstorbener indigener Familienangehöriger, benutzte Julie Dowling in ihren Gemälden Unknown: Narelle (2005) und Trouble, concern, jealousy (2003), um den Individuen, die hinter jenen namenlosen Bildnissen stecken, eine Identität zu geben. Die ergreifende Geschichte ihrer indigenen Großmutter Grace Isaacson (der man ihre Tochter für immer entriss, als die ein Baby war), deckte Judy Watson in zwanzig Radierungen des Künstlerbuchs under the act (2007) auf, dem Dokumente aus der ehemaligen Abteilung für die Angelegenheiten der Eingeborenen Queenslands zugrunde lagen. Gordon Hookeys Boxing Gloves (2008), beschriftet mit «Terraist», abgeleitet aus «terra nullius» und «Terrorist», um den terroristischen Akt der Landnahme durch die Weißen zu verurteilen, standen symbolisch für den Kampf der indigenen Bevölkerung um die Rückgewinnung von Würde, Identität und Respekt. Überzogen und comicartig erzählte Hookeys Gemälde Wreckconin (2007) vom Tod Mulrunjis (zu Lebzeiten bekannt als Cameron Doomadgee), einem 36jährigen indigenen Australier, der 2004 nur Stunden nach seiner fragwürdigen Inhaftierung (angeblich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses) starb, während ein angeklagter weißer Polizist 2007 freikam, auf Hookeys Leinwand jedoch schuldig gesprochen wurde. Im Video Scratch an Aussie (2008) drang Richard Bell als indigener Sigmund Freud in das Bewusstsein stereotyper, weißer, junger Australier und unterzog sich selbst der Psychoanalyse durch Gary Foley, Aktivist für die Rechte der Aborigines. «Aboriginal Art it’s a white thing», klagte Bell’s Theorem (2002) jene Gegenwartskunstwelt an, für die vermarktbare «Aboriginalität» wichtiger ist als Kunst und Künstler. In Uz Vs. Them (2006) mimte Bell einen «großartigen schwarzen Helden» im (Box-)Konflikt mit einem «wütenden weißen Typen» und bat in seinem Gemälde Heaven (2008 – 09) den Himmel um Erhörung: «Dort ist kein Platz für weiße Männer.» Mit dem Wandtext notawillingparticipant (Kein willentlicher Teilnehmer, 2009), könnten die rassistischen und sozialen Spannungen zwischen alteingesessenen und neuen Migranten gemeint gewesen sein, die selbst vor dem Strand als umkämpftem Ort nicht Halt machten (wie die Cronulla-Unruhen 2005 zeigten) und von denen sich Vernon Ah Kee distanzierte. Sein shield board (cantchant) (2007) – ein Surfbrett, gefertigt im Regenwald- Schilddesign der indigenen Bewohner Nord-Queenslands – konnte auch ein Schutzschild sein. Dessen Rückseite trug das Porträt eines Verwandten des Künstlers. Die Drei-Kanal-Projektion cant chant (2007) zeigte eine Gang indigener Surfer, die den Strand zurück eroberte, der unter den Weißen ein Sinnbild für australische Identität (Freizeit, Körperkult, Surfsport) ist. Die ins nationale Gedächtnis gebrannte Entschuldigung des Premiers Kevin Rudd gegenüber den indigenen Australiern, allen voran der «Gestohlenen Generation», hielt Tony Albert im Schriftzug SORRY (2008) fest – auf ihm Dutzende Porträts Indigener, allerdings massenproduzierte von Souvenirtellern, Aschenbechern und anderen Mitbringseln, allesamt mit übergestülpter, stereotyper Identität, passend gemacht für eine weiße Vorstellungswelt –, eine Aufforderung, hinter die Fassade des SORRY auf jene Praktiken und Vorurteile zu schauen, die zur Verachtung des indigenen Australien beigetragen hatten. Unterm Bett von Natascha Stellmachs Installation Oi Oi Oi (2007) flackerte ein Video, dessen Szenen eines scheinbaren Kinderidylls aus eigenen Familienfilmen sich in einen Alptraum beunruhigender Bilder verwandelten. Der Film in der Länge eines Musikclips hatte einen Soundtrack, dessen ironische Verweise auf Popkultur dem Werk die allzu bedrückende Stimmung nahmen, darunter Samples der Band AC / DC: Oi Oi Oi.
Beteiligte
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Erste Eindrücke
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Wir bedanken uns.
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Förderer
Kulturstiftung des Bundes
Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
Stadt Weimar
Förderkreis der ACC Galerie Weimar
Stiftung Federkiel für zeitgenössische Kunst und Kultur