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  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
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Ausstellungen

Romanze mit der Revolution | A Romance with Revolution

Ausstellung Do., 17.08.2017–So., 12.11.2017

Motiv aus der Serie "A Chronicle of Resistance", Victoria Lomasko, 2012, Bild: Victoria Lomasko (2012)

Lesedauer etwa 2:41 Minuten

Eröffnung: Do, 17.8.2017 | 18 Uhr

Dauer: 18.8. - 12.11.2017

Petr Belyi (RU)
Lene Berg (NO)
DAI Hua (CN)
Chto Delat (RU)
Yevgeniy Fiks (RU/US)
Gluklya (RU)
Nermine Hammam (EG)
Norbert W. Hinterberger (AT)
Francis Hunger (DE)
Anna Jermolaewa (RU/AT)
Nikita Kadan (UA)
Natasha Kraevskaya (RU)
Victoria Lomasko (RU)
Yerbossyn Meldibekov (KZ)
Ivan Moudov (BG)
Dan Perjovschi (RO)
Fabian Reimann (DE)
Luise Schröder (DE)

Kuration: Anastasia Patsey (RU), Direktorin Museum für non-konformistische Kunst, Pushkinskaya-10, St. Petersburg.

In Zusammenarbeit mit dem Kunstfest Weimar

Gefördert von: Kulturstiftung des Freistaats Thüringen, Thüringer Staatskanzlei — Abteilung Kultur und Kunst, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Stadt Weimar, Österreichisches Kulturforum Berlin und Förderkreis der ACC Galerie Weimar.

Wenn ich nicht tanzen kann, will ich eure Revolution nicht, proklamiert Friedensaktivistin Emma Goldman. Nie war die Annäherung, Beziehung, gemeinsam verbrachte Zeit zwischen Kunst und Revolution eine verlorene. Sie taten einander unendlich gut, fühlten sich angezogen, nie ganz sicher – eine Episode, nichts Ernstes. Warum faszinieren uns Revolution und Kunst? Lösung vom Althergebrachten, spontane Aktion, beschleunigtes Handeln, freier Ausdruck, neue Hoffnung, ungewisses Ende?

2017 jährt sich die Große Sozialistische Oktoberrevolution in Russland zum 100. Mal – ein Jubiläum, das – wie auch immer – begangen werden wird. Die größte Befreiungstat der Menschheitsgeschichte veränderte die Welt, prägte das Schicksal von Abermillionen. Die daraufhin entstandene UdSSR zerfiel 1991. 2003 brach eine neue Revolutionsepoche an – von der Rosen-, Orangen, Zedern-, Tulpen-, Safran- und Jasminrevolution bis zum Arabischen Frühling (2010-), der Arabellion.

Eine Ausstellung, exakt 100 Jahre nach Revolutionsbeginn, fragt nach Erbe(n), Lehren, Konsequenzen epochaler Ereignisse, ihren Nachbeben, nach Spürbarkeit und Gestalt revolutionärer Energien und Ideen früherer Umbrüche in der Gegenwart, nach dem was bleibt: Wie haben sich Kulturen, Techniken und Mythen, wie Manipulierbarkeit, Medialisierung und Beschleunigung politischer Gewalt bis ins 21. Jahrhundert, bis zur Terrororganisation Daesh, gewandelt? Und woran scheitern Revolutionen? Fürchten wir jene ruckartige Nachholung verhinderter Entwicklung (Marx) – ob nun gescheitert oder geglückt – mit ihrer Eigendynamik, die oft weder von Revolutionären noch Massen oder Eliten zu steuern ist, oder sehnen wir uns nach ihr?

Sicher liegt eine Faszination für Aufruhr und Auflehnung, Umsturz und Umwälzung, Revolte und Revolution darin, dass sie immer dann, wenn sich soziales Unbehagen und Unmut ausbreiten, wenn Menschengruppen über einen längeren Zeitraum ohne Hoffnung auf Besserung in der Gewissheit leben, beherrscht, unterdrückt, ungerecht behandelt zu werden, von uns als nur allzu natürlich, verständlich, menschlich, gerecht angesehen werden – dass die rigorosen Veränderungen und die damit verbundene Opferbereitschaft jedes Einzelnen, die ein radikaler Wandel nach sich zieht, uns nahe gehen.

Lernt die Menschheit aus früheren Umstürzen, lässt sich eine Evolutionstheorie der Revolution schreiben? Sollte die Wende, jene unblutige, samtene Revolution 1989 in Ostdeutschland, ein jüngstes Signal dafür sein, dass Umbrüche gewaltfrei und führerlos verlaufen können? Oder wie fest ist Lenins Massenerschießungen sind ein legitimes Mittel der Revolution, oder ist Atatürks Eine Revolution, die nicht auf dem Blut begründet ist, wird nie Bestand haben mit Revolutionen der Gegenwart verankert?
Glauben wir noch an die Kunst als zivilisatorische Kraft, gehen Avantgarden noch Hand in Hand mit politischen Entscheidungsträgern – ob in der Ukraine, dem Libanon, Tunesien oder Ägypten – kann Kunst Gesellschaft verändern, politisch umwälzen?

Unsere Liaison mit der Revolution beginnt mit dem Remake von Lenins (retuschierter) Moskauer Redetribüne und seinem Waldversteck, das zum Altar der Ideologie wurde, die verdunstete: Verkehrt ins radikal collagierte Coca Cola It's the Real Thing – Lenin. Leninsche Imperialismusliteratur wird global agierenden Firmen kredenzt, seine Schrift Was tun? zum Singspiel, flankiert vom Einschlag des unkontrollierbaren Red Meteorite und getanzten Lessons in Revolting. Unweit der Demonstrationskleidung gegen Putins Wahlfälschung Pussy-Riot-Gerichtszeichnungen und Artefakte des Ostukrainekrieges. Schließlich die Spielzeugdemo (nicht genehmigt), das Manifest der Unemployment Utopian Union (unveröffentlicht), das Märtyrervideo eines libanesischen Selbstmordattentäters (gefälscht), der despotischvirtuelle Staat Pastan (erfunden), die ägyptische Polizeigewaltperformance (ins japanische Bergland versetzt) und als Farewell Ches Kappe (zur Ikone stilisiert).

Die Vision der Oktoberrevolution, der Kommunismus, befand die Revolutionärin Alexandra Kollontai, ist eine Gesellschaft, deren Bindungen von solcher Zärtlichkeit seien, dass sie keine Flucht in die Ehe mehr nötig mache – eine Romanze.

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